@ Thorsten:
Die Punkte die Du in Deiner umfangreichen Kritk ansprichst, sind mir tatsächlich nicht neu. In meinen Selbstzweifeln stolpere ich immer wieder über sie. Ich finde es auch wirklich ok, dass Du Deine Ansichten so unverblümt mitteilst, auch wenn es natürlich keinen Spaß macht, sie zu lesen.
Ich kann jetzt unmöglich in entsprechendem Umfang antworten, das würde vermutlich auch nicht zu viel führen. Ein paar Punkte will ich aber ansprechen, weil ich dazu eine etwas andere Meinung habe. Ich sehe Deinen Namen auf der Anmeldungsliste zur Convention. Da können wir uns ja mal zusammensetzen, und etwas intensiver diskutieren.
Der "passive Protagonist" ist tatsächlich etwas, vor dem in allen Büchern über das Geschichtenschreiben gewarnt wird. Das liegt vor Allem wohl daran, dass gerade Hollywood den schnell entschlossenen und leicht zugänglichen Charakter etabliert hat. Irgendeine Hauptmotivation findet sich da immer, der die ersten Handlungen des Protagonisten rechtfertigt und die Story so richtig schön in Gang bringt, auch wenn sie oft nur auf dem Papier funktioniert. Ich finde, dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist. Ein Charakter wie Frodo Beutlin z.B. hat durchaus schon gezeigt, dass der Protagonist auch von äußeren Kräften getrieben sein kann. Und gerade Chihiro aus "Spirited Away" ist für mich ein sehr gutes Beispiel für einen Charakter, der am Anfang hauptsächlich reagiert, sich mitreißen lässt und erst am Ende seine eigene Motivation für sich entdeckt. Der Vorteil, den diese Charaktere gegenüber meinem Protagonisten haben ist, dass man ihre Geschichten schon im vollem Umfang betrachten und beurteilen kann.
Jonas ist ein Junge, der sich vor der Welt zurückgezogen hat. Als er in seiner Welt komplett in die Ecke gedrängt wird, findet er zufällig ein Schlumpfloch, um sich noch weiter zu entziehen. Allerdings nur um in einer Situation zu landen, die quasi ein Zerrbild der echten Welt ist - von ihm wird noch viel mehr verlangt als nur seine Schule ordentlich zu machen und seine irrationale Angst vor dem Feuer ist zu einer Weltbedrohung aufgeblasen. So ist Janaka auch kein netter weiser Mann, der einem abenteuerlustigen Jonas nur den Weg weisen muss, sondern er ist ein unerbittlicher religiöser Eiferer, der Jonas genau so unter Druck setzt, wie es Jonas Vater nicht besser hätte tun können. Raya ist bis zum jetzigen Zeitpunk reine Erfüllungsgehilfin und wir können im Moment nur spekulieren, was in diesem Charakter schlummert.
Ich würde Dir völlig rechtgeben, dass diese Konstellation unter gewissen Gesichtspunkten ungünstig ist. Der Protagonist agiert hauptsächlich als Bremse, die weibliche Hauptrolle wirkt ferngesteuert. Wenn es Dich beruhigt, dann kann ich Dir versichern, dass ich das alles auch schon erkannt und mir tatsächlich auch nicht wenig Sorgen über diese Tatsachen gemacht habe. Aber ich sehe natürlich - im Gegensatz zum Leser - auch, wo die Reise hingeht. Und von diesem Weg kann ich nicht abweichen, um die Charaktere zugänglicher zu machen. Damit würde ich mich nur verhaspeln. Vor allem kann ich meinen Charakteren keine Motivationen andichten, die sie unmöglich haben können. Mein Protagonist ist in meiner Geschichte ein echtes Kind (nicht wie die Blagen in Narnia, denen man nur ein Schwert in die Hand drücken muss und sie dann auf's Schlachtfeld stellen kann). Die Geschichte wird ihn im weiteren Verlauf mächtig fordern und einem großen Druck aussetzen und erst dieser Druck wird ihn verändern. Und meine weibliche Hauptrolle ist einem Heilsversprecher verfallen und zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit, ihre Augen zu öffnen.
Ich weiß, dass das ungünstig ist. Und ja, ich fürchte auch, dass ich dadurch einige Leser auf dem Weg verlieren werde, besonders weil Stil und Genre Anfangs etwas anderes suggerieren. Ich denke aber, dass viele Leser vielleicht auch gerade deshalb an der Geschichte kleben bleiben, weil sie in dem Protagonisten einen "Leidenden" erkennen, mit dem sie sich identifizieren und auf eine Geschichte gespannt sind, in der der Leidende erlöst wird. Im schlimmsten Fall überstrapaziere ich damit das Genre, im besten Fall gelingt es mir am Ende, die Genregrenzen dadurch zu erweitern. Ich wäre schon froh, wenn ich irgendwo in der Mitte lande.
Ich will Deine Kritik damit auf keinen Fall abschmettern. Was anbsolut ungünstig ist, ist die Tatsache, dass meine Geschichte episodisch veröffentlicht wird, wo es doch eigentlich wichtig wäre, sie direkt im Ganzen lesen zu können. Eben weil die Protagonisten eine längere Zeit brauchen werden, um sich zu entfalten. Eigentlich müsste ich die Geschichte im stillen Kämmerlien vollenden und erst nach Fertigstellung veröffentlichen. Das ist aber kein gangbarer Weg und so muss ich den Kompromiss eingehen und hoffen, dass genug Leser bereit sind, den Weg mitzugehen. Vielleicht kann ich den ein oder anderen mit den bunten Bildern dazu verführen, der Geschichte bis zu einem Punkt zu folgen, wo sich der größere Zusammenhang offenbart.
@ JahGringoo:
Ja, das ewige Problem, dass man die lockere Skizze niemals übertreffen kann. Ich sehe den Punkt durchaus auch kritisch und das naheliegende Argument der "Produktionszwänge" kann mich auch nur eher schlecht als recht zufriedenstellen.
Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass eine stärkere Ausarbeitung (wie Pixel sie vorgeschlagen hat) das Problem lösen würde. Tatsächlich glaube ich, eine Vereinfachung der Figuren (wie beim Trickfilm) wäre sinnvoller. Je einfacher und symbolischer eine Figur ist, desto leichter kann der Betrachter in sie hineinprojezieren. Die Figuren sind über die Kapitel sogar schon etwas einfacher geworden und ich werde das schrittweise vermutlich noch vorantreiben.
Wenn ich mir meine Asterix-Sammlung anschaue, dann fällt mir auf, dass sich der Look der Comics langsam über viele Bände entwickelt hat. Die ersten Bände sehen noch furchtbar aus und erst bei den ganz späten finde ich welche, die ich als genial ansehen würde. Das beobachtet man bei vielen Comickünstlern. Ich sammle mittlerweile auch alte Sachen von Mike Mignola und auch der hat mal sehr bescheiden begonnen. Der Perfektionist in mir hätte sich zwar gewünscht, dass ab dem ersten Panel alles in trockenen Tüchern gewesen wäre aber auf der anderen Seite finde ich es auch befreiend, zu akzeptieren, dass man immer weiter wachsen und sich entwickeln kann. Beim letzten Wurmwelt-Kapitel sollte es dann aber perfekt aussehen. Bis dahin habe ich locker noch 20 Jahre Zeit...
Auf jeden Fall kann ich festhalten, dass ich mich durch die vielen positiven Kommentare zum Artwork der Wormworld Saga nicht blenden lasse und mich nicht darauf ausruhen werde. Ich sehe da auch viel Luft nach oben (oder wasweißich in welche Richtung) und arbeite hart daran, den knappen Zeitplan mit mehr Sorgfalt bei der Gestaltung in Einklang zu bringen.
@ Froschmonster:
Mir scheint, ich bin enttarnt!
Ok, danke auf jeden Fall für die Tritte und auch die Streicheleinheiten. Auf steinigem Weg bringen einen besonders Erstere meistens schneller voran.
EDIT:
Und das möchte ich anfügen noch in Reaktion auf Thorstens Hauptpunkt, dass Charaktere aktiv sein müssen:
Ich habe über diesen Punkt wirklich viel nachgedacht und ihn immer wieder abgewogen. Ich habe es ja auch immer wieder gelesen - Charaktere müssen aktiv sein, müssen pushen! Die Kritik und die Vorschläge zu möglichen Alternativen stoßen auch jetzt diese Überlegungen wieder an.
Aber ich finde, es stimmt einfach nicht. Ich empfinde es anders. Ich habe selbst über 10 Jahre in einem Job verbracht, der mich schon mach wenigen Jahren nicht mehr befriedigt hat. Ich habe lange Zeit gebraucht um an einen Punkt zu kommen, wo ich den Mut hatte, mich abzustoßen und wirklich das zu tun, was ich wollte. Ja, viele Geschichten beginnen, wenn der Protagonist schon an diesem Punkt ist. Viele Geschichten konstruieren diese brennende Motivation auch gerne in den ersten 15 Minuten und - ZACK - da ist der Held fertig! Vielleicht möchte ich diese Phase, in der der Protagonist noch nicht so weit ist, einfach nicht unterschlagen. Vielleicht will ich selbst herausfinden, welchen Druck es braucht, um über seinen Schatten zu springen. Was wird Jonas am Ende aus seiner Passivität und aus seiner Verneinung drängen? Wie soll er sich am Ende gegen seine Angst erwehren? Wie wird aus dem Kind ein Mann? Ich finde, dass ein großes erzählerisches Potenzial darin schlummert, dies langsam zu entwickeln und nicht direkt mit einem kleinwüchsigen Haudegen in die Geschichte einzusteigen. Andere Figuren werden im Laufe der Geschichte dieser Charaktereigenschaften verkörpern. Es wird alles emotional noch deutlich bunter, so viel kann ich versprechen. Aber es muss sich erst entwickeln.
Vielleicht hänge ich mich mit diesem Ansatz etwas weit aus dem Fenster, weil ich die Geduld des Lesers strapaziere. Was heißt vielleicht - Eure Kommentare geben mir da ja eindeutiges Feedback. Aber was ich dadurch gewinne, ist die Möglichkeit des Aufbaus und der Steigerung. Und wenn dann am Ende aus dem Kind ein Held wird, dann ist das ein größerer Gewinn als wenn aus dem kleinen Held ein großer wird. Und es ist wahrhaftiger, finde ich. Dies ist der Kern meiner Geschichte und ich verteidige ihn mit Klauen und Zähnen. Selbst wenn es Leser kostet.