Bedeutung von Motiven im Bild

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Duracel
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Bedeutung von Motiven im Bild

Beitrag von Duracel » 9. Jul 2008, 10:29

digitaldecoy hat geschrieben:Ich würde mich sehr für eine Diskussion über die Wichtigkeit von Motiven interessieren.
http://www.digitalartforum.de/forum/vie ... 925#a67720

Bevor es also endlos in Stevens Thread weitergeht, hier einfach mal ein Neustart an geeigneterer Stelle.

(im folgenden werden die vorrangegangenen Kommentare nocheinmal zitiert)
Steven hat geschrieben:werde ich das Ganze wahrscheinlich nochmal machen. Mit Vorzeichnung und diesem Sketch als Basis für die Ausarbeitung. Auch wenn ich eigentlich keine Motive mehr ausarbeiten wollte, die mir nicht wichtig sind. Hm.

Das hier begann gedanklich als Selbstportrait. Mein Gedankengang war eigentlich aufzuzeigen, wie wenig ich aus meinem »Können« durch Zeichnung/Malerei/Illustration etwas zu schaffen, mache. Wieviel Leere bei allem Output bleibt. Als ich dann aber wieder mit dem direkten Licht experimentierte bekamen die Hände einen glorifizierten Touch, als würde ich meine eigenen Fähigkeiten erhöht darstellen wollen. Da das nicht dem entspricht was ich eigentlich sagen wollte, mir die Farben dennoch gefallen, ist es jetzt doch kein Selbstportrait sondern ein weiteres leeres Bild. Ein Teufelskreis.
Ambro hat geschrieben:
Steven hat geschrieben:Auch wenn ich eigentlich keine Motive mehr ausarbeiten wollte, die mir nicht wichtig sind. Hm.
Don't mind me... aber rein philosophisch betrachtet, wird ein Bild dann wichtig genug, wenn du es doch ausarbeitest. Aber ich gehe mal davon aus, dass du schon eine sehr zielgerechte Definition des "wichtig-genug-Begriffes" im Kopf hast und die nun mal nicht erfüllt wird ;)
kaktuswasser hat geschrieben:Dieses Problem mit der inhaltlichen Leere haben wir wohl fast alle. Wenn man ehrlich ist prodzieren wir hier ja meistens nur relativ belanglose Bilder, die zwar oft hübsch anzuschauen sind, aber inhaltlich recht wenig aussagen. Dabei meine ich mit inhaltlicher Aussage garnicht unbedingt Aussagen wie "Nie wieder Krieg" sondern auch einfach Geschichtenerzählung oder ein Portrait, dass mir etwas über die dargestellte Person "erzählt". Ich sehe das auch garnicht mal allzu kritisch, man kann ja nicht immer so viel Zeit für ein Bild aufwenden, dass auch die inhaltliche Aussage durchdacht ist. Trotzdem stört es mich bei meinen eigenen Bildern mitlerweile doch erheblich, was neben der mangelnden Zeit auch ein Grund dafür ist, dass ich in den letzten Monaten so wenig hier gezeigt (und überhaupt gemacht) habe. Das hat auch dazu geführt, dass ich zunehmend mehr gegenstandslose Dinge zeichne, so nachdem Motto, wenn schon kein Inhalt, dann kann ich eigentlich auch auf Gegenstände verzichten und mich nur noch um das Visuelle kümmern. Aber so richtig das Wahre ist das auch nicht.
Das Problem ist einfach, dass man ein Thema braucht, was einen wirklich packt, damit man dazu überzeugende Arbeiten machen kann. Solange man so ein Thema nicht gefunden hat und man einfach nur "irgendwas" inhaltlich starkes machen will, ist das äußerst schwierig. So ein Bild muss ja auch irgendwie motiviert sein. Sei es als Reaktion auf irgendetwas oder als Produkt eines Schaffensprozesses.

Mich würde da mal interessieren, inwiefern sich da so Arbeit als Storyboarder/Layouter in der Werbebranche drauf auswirkt. Hast Du daneben überhaupt noch wirklich Energie dich groß mit Inhalten zu beschäftigen oder möchtest Du in deinen privaten Arbeiten eigentlich hauptsächlich nur "abspannen" ? Ich meine Du hast ja einen ernormen Output an privaten Arbeiten, da könnte man stumpf gedacht ja einfach sagen, dass Du einfach weniger Bilder mit mehr Inhalt malen solltest, wenn dich der inhaltliche Aspekt stört. Aber da frage ich mich inwiefern das überhaupt möglich ist. Zumindest für mich ist es eine sehr viel größere Anstrengung ein inhaltlich durchdachtes und geplantes Bild zu malen als drei bis vier "einfache" Bilder. Einfach auch, weil so ein Bild einen ja dann auch nicht loslässt, wenn man nicht dran arbeitet.
digitaldecoy hat geschrieben:Ich würde mich sehr für eine Diskussion über die Wichtigkeit von Motiven interessieren. Ich denke, man sollte die Seite des Betrachters dabei nicht unterschätzen. Ich halte es z.B. durchaus für möglich, dass ein Bild, welchem der Künstler selbst nur dekorativen Wert zugesteht, beim geeigneten Betrachter eine höhere Bedeutung erhält. Selbstverständlich muss man sich da generell fragen, welche Bedeutung ein Bild überhaupt erlangen kann. Ich kann mich aber auf jeden Fall gut in Deine Problematik hineinversetzen, Steven.
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Beitrag von digitaldecoy » 9. Jul 2008, 11:01

Finde ich gut, dass die Diskussion hiermit etwas breiter angelegt wird. Ich sehe mich jetzt noch nicht dazu in der Lage, weit auszuholen, aber grundsätzlich existieren für mich persönlich zwei grundlegende Fragen bezüglich des Inhaltes. Die erste Frage ist, wie man zu seinen Inhalten kommt und die zweite Frage ist, welche Inhalte, oder vielleicht besser: wie viel Inhalt ein einzelnes Bild überhaupt "halten" kann.

Die erste Frage ist sicher eine jeweils sehr persönliche Frage, auf die jeder eine eigene Antwort sucht und wo man sich von fremden Antworten höchstens inspirieren lassen kann (was aber schon Mal hilfreich ist). Die zweite Frage stellt das einzelne Artwork quasi auf den Prüfstand und vergleicht es mit verwandten Kunstformen. Provokativ gesprochen, könnte man z.B. fragen, ob "Storytelling" in einem einzelnen Bild überhaupt noch Sinn macht, wo es doch Comics gibt. Wie viel Sinn macht Dynamik in einem Bild, wenn es im Vergleich zu Film und Animation doch nur starr wirken kann? Wo liegen die Vorteile des Einzelbildes gegenüber den vermeintlich weiterentwickelten Kunstformen? Ein weites Feld, wenn man es drauf anlegt.
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Duracel
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Beitrag von Duracel » 9. Jul 2008, 11:50

Ja, das Problem ist wohl hinlänglich bekannt ... mir zumindest auch.

Also erstmal muß man natürlich ganz klar feststellen, dass ein inhaltsreiches Bild ein zusätzlicher Anspruch ist dem viele Anfänger und Fortgeschrittene teilweise notgedrungen - aber auch Profis immer wieder gerne - ausweichen.
Bzw. anders gesagt ... bei vielen Bildern liegt die Priorität eben auf technischen Aspekten(Licht/Anatomie/Komposition), die dann den Inhalt bilden. Wir hatten es erst letztens bei Daniels CG-Challenge Beitrag angesprochen ... da ging es primär eben keineswegs um die zu rettende holde Jungfer, sondern darum sich mit z-Brush auseinanderzusetzen ... das hat dann den Protagonisten auch zurecht verwirrt.
(Verweis auf das Bild in Daniels Thread; indem auch sehr viele spannende philosopische Fragestellungen behandelt werden)

Also sollte man meiner Ansicht nach zuersteinmal ehrlich zu sich sein, warum man etwas eigentlich macht! Und sich fragen, was einen eigentlich gerade interessiert?
Und was daran einen zum Zeichnen/Malen führt.

Das ist der richtige Punkt um meine eigenen derzeitigen Erfahrung diesbezüglich anzusprechen.
Ich habe mich dieses Jahr sehr viel mit genau diesen gegensätzlichen Polen beschäftigt - Storyaufbau/Porträt-Aussagen gegenüber Gegenstandslosigkeit/selbstständigeForm. Und diesbezüglich dann, was eigentlich "freie Form" für eine Aussage hat, und was "interpretierte Form" aussagt; und dann merkt man auch schnell, wie grenzwertig das Ganze ist.

Dieser Aspekt hat mich dazu gebracht in letzter Zeit wieder vermehrt eigene Bilder zu malen. Ich habe also tatsächlich zwischenzeitlich den Weg gewählt, eben nicht 'nur der Übung halber' irgendwelche Bilder abzuarbeiten; sich dann lieber auf andere Dinge konzentrieren.
Aber warum ist das eigentlich so motivierend? Ich habe aufeinmal für mich nichtmehr das Gefühl Technik und Inhalt zu trennen und dementsprechend stehe ich schlichtweg nichtmehr vor so inhaltsleeren Bildern.
Früher war es für mich so, um ein starkes Motiv zu gestalten, mußte ich vorallem "recherchieren", mich mit dem Thema auseinandersetzen, bevor ich anfangen konnte zu malen. So war ich davon abgehalten zu malen oder aber physikalische Gesetze als Thema zu nehmen(Licht/Schatten o.ä.) ... und tatsächlich hat das auch häufig dann nach kurzer Zeit meine Motivation an einem Bild zunichte gemacht; denn statt einen ehrlichen Dialog mit dem Inhalt einzugehen(was ich aber garnicht primär wollte), habe ich mich nur an einen Pseudo-Inhalt geklammert, sodass er mir eben mühsam wurde.

Nun mittlerweile gehe ich verstärkt in den Dialog mit der Form. Ich konstruiere nichtmehr notgedrungen Raum oder Geschichte, sondern ich lasse direkt Formen untereinander und mit mir kommunizieren. So stecke ich viel stärker im Malprozess drinn und gleite nicht ständig nur in die Position des kritischen Betrachters.
Und ich nehme mir dabei die Freiheit nur da, wo ich auch wirklich neugierig auf den konkreten Gegenstand bin, ihn zu untersuchen.
Da wo er mich nicht interessiert, lasse ich ihn schlicht weg.

Somit löst sich für mich dieser Widerspruch auf; inhaltsleer gibt es nicht.
Gerade mein letztes Selbstporträt zeigt, wie ich dabei im Wechselspiel stehe zwischen diesen unterschiedlichen inhaltlichen Aspekten.
(Verweis, mit der Anmerkung weiter unten auf dieses Bild nocheinmal näher eingegangen zu sein
)

Es kann dann zwar sein, dass jemand Aussenstehendes dem Gespräch nicht ganz folgen kann, aber ich für mich komme in der Unterhaltung weiter.
(An dieser Stelle realisiere ich gerade den gedanklichen Fehler in der Fragestellung, warum ich mich oftmals(auch gerne auf Conventions) lieber unterhalte, als zu malen ... ... zu malen sollte eben auch immer ein Dialog sein, statt ein Vortrag von etwas auswendig gelerntem.)


Um die Sache vielleicht nochmal andersherum auf den Punkt zu bringen. Sieht man die Form nur als Mittel zum Zweck, den Inhalt zu transportieren, fehlt dann dieser Inhalt ... wird es leer. Versteht man dagegen, wie die Form ansich schon kommuniziert, steht man nie vor einem inhaltsleeren Bild; und es steht dann auch nichts im Weg, abstrake und gegenständliche Motive zu verbinden.

Man kann natürlich nichtsdestotrotz dem Dialog aus dem Weg gehen und nur Crap produzieren.

Mein Fazit bis hierhin wäre also. Bedeutend in einem Bild ist vorallem der Dialog als Mittel zur geistigen Entfaltung. Um was dieser Dialog sich dreht steht dann wieder auf einem anderen Blatt; nur aus dem Weg gehen sollte man dem Dialog nicht indem man nurnoch vor sich hinbrabbelt ... dann lieber schweigen.[/url]
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Beitrag von Chinasky » 9. Jul 2008, 12:46

Hochinteressantes Thema, aber mir fliegen da momentan zuviele unterschiedliche Gedankenfäden im Kopf umher, die sich kaum alle miteiander verknüpfen lassen.
Ich fand Stevens Worte sehr eindrucksvoll, bzw. ich meine, zu verstehen, worum es ihm ging, welche Art von Krise/Konflikt sich bei ihm gerade abspielt:
Mein Gedankengang war eigentlich aufzuzeigen, wie wenig ich aus meinem »Können« durch Zeichnung/Malerei/Illustration etwas zu schaffen, mache. Wieviel Leere bei allem Output bleibt.
Mir würde da als Begriff "die Melancholie des Virtuosen" einfallen. Die dürfte jeder, der ein wenig handwerkliches Können sich zugelegt hat, schon einmal verspürt haben, vermute ich. Steven kann inzwischen dermaßen gut zeichnen (und sogar schon: malen), daß es für andere schier unglaublich wirkt. Wow, sooooo geil möchte ich das auch mal können!
Vor ein paar Jahren wäre ihm sein heutiger Stand wohl traumhaft vorgekommen und er hätte sich nicht vorstellen können, daß man bei solchem Können nicht zufrieden sein könnte. Und nun kann er's und haut uns hier einen Geniestreich nach dem anderen um die Ohren - und es fühlt sich nicht halb so befriedigend an, wie es eigentlich sollte. Statt dessen ist da eine ominöse Inhaltsleere... Man fühlt sich irgendwie durch sein handwerkliches Können verpflichtet, wichtige Bilder zu malen, aber diese Wichtigkeit stellt sich nicht so recht ein. Man verfranst sich immer wieder in seinem Können, führt Kunststückchen vor, die andere Leute verblüffen, die man selbst aber durchschaut und die dadurch auch irgendwie langweilig sind.

Und mal wieder kommt da das "Kunst"-Thema auf's tapet. Die Frage: Was will ich überhaupt? Wofür mache ich das hier? Habe ich Lust, dauerhaft die Regeln zu befolgen, das Publikum (die Auftraggeber) mit dem zu bedienen, was es erwartet?

Anderer Gedanken-Faden: Illustration und Kunst. Geht das? Dura spricht von dem Dialogartigen, was ihn momentan beschäftigt. Das ist insofern interessant, weil die Dialogform nicht zur Illustration paßt. Die Illustration ist eine hierarchische Angelegenheit: Eine Aussage steht (Inhalt) und muß nun "nur noch" veranschaulicht werden. Das ist der Grund, warum unter Künstlern der Begriff "illustrativ" häufig als negative Bewertung fungiert. Weil da eben der Gedanke längst gedacht wurde und nun nur noch in eine möglichst deutliche Form gepackt werden muß.
Der Dialog aber hat keine fest stehende und richtungangebende Aussage am Anfang. Sondern er zeichnet sich dadurch aus, daß die Richtung sich ändern kann, daß die Aussage, die am Anfang stand, sich als falsch herausstellen oder durch eine komplett andere Aussage ersetzt werden kann. Der Dialog hat etwas mit Offenheit zu tun, aber auch mit Aufmerksamkeit gegenüber dem Dialogpartner: man muß es mitkriegen, wenn der einen Aspekt, eine Idee, einen Gedanken einwirft, welcher einem vorher nie in den Sinn gekommen wäre. Das ist z.B. der Reiz der Ping-Pong-Artworks, daß man offen ist für Aspekte, die einen wirklich überraschen.
Wenn man annimmt, daß es gewissermaßen eine künstlerische Wahrheit gäbe, dann muß der dialogische Schaffensprozeß a la Duracel es zulassen, daß diese Wahrheit auch zutage tritt und nicht zugunsten irgendwelcher Konventionen einen Maulkorb erhält. Konkret: Wenn mit einem Selbstportrait angefangen wird, muß es zumindest möglich sein, daß am Ende eine Landschaft oder eine abstrakte grafische Komposition steht, beispielsweise indem auf einmal der Hintergrund des SP immer wichtiger wurde und mehr Raum einforderte.
Wichtig ist hier das Ernstnehmen des Dialogpartners: des jeweiligen Stands des Bildes. Ein Ernstnehmen, das nur durch Aufmerksamkeit möglich wird. Wenn wir zu sehr mit unseren eigenen Zielen und Meinungen beschäftigt sind, sind wir schlechte Dialogpartner insofern, als wir unserem Gegenüber über's Maul fahren, ihn nicht ausreden lassen, nur halb hinhören auf das, was er sagt und auch dann eigentlich nur dort ansetzen, wo wir meinen, eine Schwächung in seiner Deckung gefunden zu haben. Wir wollen ihm unsere Meinung aufdrücken... Am Ende haben wir uns dann vielleicht durchgesetzt und die Diskussion gewonnen. Aber als Dialog war's dann nicht fruchtbar, denn wir selbst haben ja kaum was Neues gelernt!

Daran anknüpfender Gedankenfaden: Unsere handwerklichen Skills könnte man als Entsprechung zu rhethorischen Skills betrachten, welche zwar dafür sorgen, daß wir in Diskussionen meistens die Oberhand behalten, welche aber eben es so schwer machen, fruchtbare Dialoge zu führen. Können macht dominant - und bügelt interessante Schwächen, Unsicherheiten, Zögern, Sich-Verwundern usw. weg. Der Skill wird so zum Selbstzweck, das Können zum Manierismus, der irgendwann fast autistische Züge annehmen kann. Weil man handwerklich so gut ist, verlangt das Handwerk immer mehr Ressourcen. Die realistische Darstellung von Oberflächen wird zur hyperrealistischen Darstellung von Oberflächen. Die perspektivischen Verkürzungen werden immer abgefahrener. Die gelungenen Farbkombinationen werden immer raffinierter in ihrer Austarierung... Überblendungseffekte, extreme Betrachtungswinkel - es gibt tausenderlei Möglichkeiten, Skills immer weiter Richtung Anschlag zu treiben. Und das Können dröhnt gewissermaßen im Kopf und überdröhnt damit leisere, sublimere Nachfragen, ob das alles überhaupt nötig ist?
Wenn ich unglücklich verliebt bin - was hilft es mir da, wenn ich der König der dynamischen Perspektive bin und Enviroments hinwerfen kann, daß jedem Science-Fiction-Regisseur der Sabber aus den Mundwinkeln läuft? Meine Trauer und Unsicherheit, die Sehnsucht nach der geliebten Frau - die kann ich so nicht ausdrücken, im Gegenteil: Würde ich auf "meine" Art versuchen, diese Gefühle auszudrücken, so wäre das eine Art Verrat an den Gefühlen. Denn in denen ist nichts von dynamischer Perspektive und coolen Überblendeffekten enthalten, so läßt sich das Gefühl von Ohnmacht und Klein-Sein nicht darstellen. Man käme vielleicht auf die Idee, dieses Gefühl der Ohnmacht und des Klein-Seins auszudrücken, indem man einen riesigen, monsterhaften Roboter malt, der sich bedrohlich (und mit Gegenlicht-Situation ;) ) vor einem kleinen, gestrauchelten Jungen aufbaut. Das wäre dann zwar ein cooles Bild, hätte aber eben doch nichts mit dem eigentlichen Gefühl zu tun, das einen überkommt, wenn man verzweifelt vor dem Telefon hockt und auf ihren Anruf wartet, der ja doch nie kommt, weil sie ja den anderen hat und weil man sich gestern ja so beschissen verhalten hat, daß sie das unmöglich wird verzeihen können...
Da ist man also ein hervorragender Illustrator, beherrscht sein Handwerk wie kaum ein zweiter - und kann dann, wenn einem mal eine Sache wirklich wichtig ist, diese Sache nicht in der Sprache formulieren, die einem doch so wichtig ist... Und wenn man seinen - in langjähriger Übungs-Arbeit antrainierten - Reflexen vertraut, dann kommt da dieses dämliche Roboterbild heraus, das so völlig falsch und deplatziert ist: alles Können hilft nicht, ja behindert eventuell sogar, weil man nicht mal das Elend ausdrücken kann, ohne es cool wirken zu lassen...
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.

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Beitrag von digitaldecoy » 9. Jul 2008, 12:54

Wow, diese Gedankenstränge muss ich jetzt erst Mal schön sorgsam in mein Gehirn einfädeln und gucken, was für ein Stoff daraus gewebt wird. Sehr klare und einleuchtende Schlaglichter, die Du da auf die Problematik wirfst, Chinasky!
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Beitrag von Duracel » 9. Jul 2008, 13:10

Ja, sehr sehr schön ausformuliert!
Ich kann diese Erfahrungen und Ansichten komplett teilen.
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Beitrag von The-Student » 9. Jul 2008, 13:31

Ich finde das Thema auch höchstspannend im moment. Mir ergeht es im auch ein wenig wie Daniel, es ist schwer die Gedanken auf einen Schlag zu sammeln. Ich danke euch aber schonmal für die tollen Beiträge, die den Nagel gut auf den Kopf treffen!

Ich werf hier nochmal einen Aspekt ein den ich für mich persöhnlich im moment für wichtig halte: Bilder zu malen die tief aus seinem innersten kommen. Jedenfalls versuche ich das im moment. Dinge die mich persöhnlich gerade irgendwie beschäftigen umsetzen finde ich einfach spannender, als irgendein x beliebiges Monster das ich auf eine ähnliche Art komplett aussagslos schonmal gezeichnet/gemalt habe. Das schliesst natürlich auch Gefühle mit ein. So werden Bilder für mich jedenfalls nichtmehr so Inhaltslos wie sie sonst vielleicht würden.

Ich muss jetzt weg, werde später nochmehr dazu schreiben.
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Beitrag von Herrmann » 9. Jul 2008, 13:54

Ich finde das Thema prima, weil es diese Fragen sind, die den Horizont öffnen.
Aus meiner Sicht verhält es sich mit dem Sinn in etwa so: Sinn ist nicht von vornherein vorhanden. Nicht im Leben und nicht im Bild. Wir erschaffen den Sinn selber, indem wir uns oder das Bild in einen Kontext setzen, der Wechselwirkung ermöglicht, z.B. in Form des Dialogs. Wenn wir davon ausgehen, in allererster Linie soziale Wesen zu sein, die sich selbst nur im Kontakt mit anderen kennen lernen und entwickeln können, dann ist der Dialog als Kontaktform quasi die Geburtsstätte allen Sinns.
Die Dialoge hier im Forum befassen sich zu 99% mit technischen Themen, recht nerdy, wenn man so will, weil es Themen sind, die nur einen sehr kleinen Teil der Menschheit und nur über kleine Zeitintervalle interessiert. Damit sind die meisten Bilder, die hier entstehen nur in diesem oder einem ähnlichen Kontext sinnvoll. Wenn wir diese Bilder in Bereiche des Lebens führen, die uns viel persönlicher betreffen, Chinaskys Beispiel des Liebeskummers zeigt ein Extrem, dann verlieren diese Bilder jegliche Bedeutung, machen keinen Sinn mehr, außer den des Ablenkens. Diese Bilder ziehen uns ganz persönlich in den Nerdbereich des rein technischen zurück, haben nur dort ihren Sinn und sind somit reiner Selbstzweck.
Wenn wir versuchen wollen darüber hinaus sinnvolle Bilder zu kreieren, dann müssen wir Bilder schaffen, die zum Dialog mit oder über Lebenswichtiges geeignet sind. Da gibt es denke ich einige klassische Möglichkeiten:
- das autobiografische oder autoanalytische Bild
- das politische Bild
- das sachlich illustrative Bild
- das historische Bild
- das intellektuelle Bild
- das emotionale Bild
- das alltagsszenische Bild
- …
Solche Bilder eignen sich zum Dialog über das Leben, und machen in sofern Sinn.

Natürlich kann der Sinn darin, ein Bild zu malen auch darin liegen, damit Geld zu verdienen, aber das beeinflusst ja das Thema des Bildes nicht direkt, bzw. ist das Bildthema dann nur Mittel zum Zweck und hat selbst, zumindest für den Künstler nicht unbedingt eine weitere Bedeutung.

Eher ungeeignet sind eben Bilder, die nur den Eyecandy zelebrieren oder reine Fantasygebilde, die einen von der Realität entfernen. Beziehungsweise sind Scifi- und Fantasy- dann wieder sinnvoll, wenn sie realgesellschaftliche Themen reflektieren oder alternative Gesellschaftsformen testen können.

Ein Bild zu malen, mit dem ich die Sinnlosigkeit des eigenen Schaffens thematisiere, ist also ziemlich Sinnvoll, weil es, wie man ja hier sieht, den Dialog anregt und zum nachdenken über Fragen einlädt, die über das rein technische deutlich hinausgehen. Steven hat es allerdings noch nicht überzeugend geschafft, das Thema "Sinnlosigkeit des Schaffens" im Bild festzuhalten. Ich würde vorschlagen, es nochmal zu versuchen!

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Beitrag von HPohl » 9. Jul 2008, 15:33

Obwohl ich dachte, dazu eine Menge zu sagen zu haben, bin ich doch erstmal ziemlich erschlagen von den Inhalten die Ihr hier präsentiert. Ich möchte nicht an Euch vorbeischreiben und bekunde deshalb erstmal nur meine tiefe Anteilnahme an diesem Thema. Ich hoffe im weiteren Verlauf auch einen kleinen Teil dazu beisteuern zu können.

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Beitrag von Jabo » 9. Jul 2008, 18:29

Ich möchte hier mal ganz dick Chinasky für diese erstaunlich vielseitige Wiedergabe der Skill<>Kreativität-Thematik danken. Diese Sache ist mir im Laufe meines kreativen Lebens immer wieder aufgefallen. Sie spiegelt meine eigene Ratlosigkeit wieder, wenn ich beginne, etwas besser zu können und erklärt mir auch die weit verbreitete Wortkargheit vieler Profis in kreativen Bereichen.

Ich habe für mich schon vor einigen Jahren die Theorie aufgestellt, dass eine Zunahme des Könnens mit einer Abnahme des kreativen Inhalt einhergeht. Sobald ich mich in eine Materie so weit eingearbeitet habe, dass etwas dabei herauskommen könnte, ebben die Inhalte auf ein häufig sehr banales, wenn nicht kitschiges Niveau ab. Früher sprach ich von Ideenlosigkeit. Das stimmte so nicht, wie sich herausstellte. Ich hatte Einfälle, sie waren einfach nur schlecht. Also fing ich an, fehlende Inspiration, also eine Leere des restlichen Lebens, die sich auf den kreativen Prozess auswirkt, anzuprangern. Die scheinbare Lösung? Inspiration suchen. Das Ergebnis: Mehr Banalität, oft fast kopierend.

Woran es liegt, weiß ich nicht genau. Ich kann mir gut vorstellen, dass das ständige Konzentrieren auf sachliche, formale Kriterien einen Menschen abstumpft gegenüber der eigenen Naivität, der die frühen Ideen entspringen. Wo ist der Platz für tiefgründigeren Inhalt, wenn die Zeit, die einem vom Tag bleibt, dazu genutzt wird, rein formal besser zu werden? Oder liegt es daran, dass man in der Zeit, die man verbracht hat, einfach älter wird und seine Meinungen und sein Leben dementsprechend angeglichen hat?

Hier stand eine ganze Zeit ein Absatz über mögliche Lösungswege aus der Zwickmühle. Am Ende bin ich mir nicht sicher. Man könnte versuchen, den Inhalt zu ignorieren, so dass sich das Problem möglicherweise von selbst löst. Man könnte versuchen, wieder kindlicher zu denken, naiver zu werden in seinen Vorlieben. Oder man könnte ganz gezielt Kreativität trainieren. Nicht im Sinne von Kreativitätstraining (damit schlage ich mich gerade im Studium herum), das ist zielgerichtetes Schaffen. Ich meine Training für dumme Ideen, ziellose Ideen. Kennt jemand so etwas vielleicht?

Die Frage die bleibt ist: Waren die alten Inhalte wirklich besser? Oder ist es ein Trugbild des Gedächtnisses? Ist es nicht vielleicht doch größtenteils eine Mischung aus Nostalgie und Melancholie, die uns diese wunderbaren Kindheitserinnerungen ins Gedächtnis ruft? Können erwachsene Menschen überhaupt kreativer sein als Grundschulkinder? Geht die Fähigkeit, Ideen zu entwickeln, von denen man selbst überzeugt ist, mit zunehmenden Alter verloren?


Sehr interessantes Thema!

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Beitrag von Duracel » 9. Jul 2008, 19:08

Sehr sehr spannende Fragen.
Nur kurz zum Thema Kreativität grundsätzlich zwei Buchempfehlungen - beides leider leider nurnoch als Antikbuch oder in Fachbibliotheken zu finden; aber sehr lesenswert:
Arthur Koestler - Der göttliche Funke; Anton Ehrenzweig - Ordnung und Chaos;
Dir, Jabo, kann ich diese Bücher bei diesem Posting nur absolut empfehlen!
Ziel ist, woran kein Weg vorbeiführt.

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Beitrag von die-buttermilch » 9. Jul 2008, 19:27

Jabo hat geschrieben:Die Frage die bleibt ist: Waren die alten Inhalte wirklich besser? Oder ist es ein Trugbild des Gedächtnisses? Ist es nicht vielleicht doch größtenteils eine Mischung aus Nostalgie und Melancholie, die uns diese wunderbaren Kindheitserinnerungen ins Gedächtnis ruft? Können erwachsene Menschen überhaupt kreativer sein als Grundschulkinder? Geht die Fähigkeit, Ideen zu entwickeln, von denen man selbst überzeugt ist, mit zunehmenden Alter verloren?
Ich denke eher, dass, je älter man wird, die Ansprüche durch die Gesellschaft an den Einzelnen steigen, man erwartet mehr "Produktivität", "sachliche Lösungen" etc...
Vielleicht bremst man sich durch die wachsenden Ansprüche einfach zu sehr, weil man in Angst verfällt, etwas zu schaffen bzw. zu "produzieren", was den Anforderungen nicht gerecht wird.
Vielleicht resultiert dann aus diesem Denken eine immer weiter wachsende Unsicherheit, die vielleicht schon unterbewusst diese kindliche Naivität abwehrt. Sofern man davon ausgehen kann, dass kindliche Naivität eine Notwendigkeit für kreativen Output ist...

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Beitrag von Herrmann » 9. Jul 2008, 19:56

Jabo:
Ich habe für mich schon vor einigen Jahren die Theorie aufgestellt, dass eine Zunahme des Könnens mit einer Abnahme des kreativen Inhalt einhergeht.
Es ist doch so: Bilder zu Gestalten und Bilder wahrzunehmen gehen Hand in Hand. Die Zunahme Deines Könnens findet sich nicht nur im Malen oder Zeichnen, sondern auch im anaylsieren der eigenen Werke und der Werke anderer.

Ich selber habe z.B. einige Bücher über Dramaturgie im Film, also Drehbuchschreiben etc. gelesen. Seitdem ich weiß, wie ein Drehbuch klassischerweise aufgebaut ist, seh ich, wenn ich ins Kino gehe nur noch Storywendungen, Beats, Leitthemen und dramaturgische Kniffe. Meine Wahrnehmung ist in diesem Bereich also geschärft. Leider führt das häufig dazu, dass mich die Dramaturgie nicht mehr so ganz packen kann, weil ich mich mehr als Beobachter außerhalb des Publikums befinde, als mich betroffen zu fühlen.

Ähnlich verhält es sich doch mit den eigenen Sachen. Ich weiß wie und warum ich oder sonst jemand ein Bild so gestaltet hat, wie er es gestaltet hat und sehe nur noch Kompositionen, Farbstimmungen etc. Und vielleicht nehme ich auch den Inhalt des Bildes wahr, aber eben nicht nur. In der Gesamtwahrnehmung macht der Inhalt nur noch einen Teil aus. Das führt doch dazu, dass der Inhalt an Gewicht verliert, was selbstverständlich dem Inhalt abträglich ist. Denn schließlich wollen wir einen (ge)wichtigen, einen bedeutungsvollen und dadurch sinnvollen Inhalt sehen. Geht nicht mehr …

Mit steigendem Können und Wissen sinkt einfach die Wahrscheinlichkeit sich selbst zu blenden, zu überraschen oder zu beeindrucken. Aber gleichzeitig steigt die Fähigkeit den Dingen auf den Grund zu gehen. Jetzt kann man anfangen, hinter die Technikfassaden zu gucken, die ganze schöne Dramaturgie auszublenden und zum Thema zu kommen. Und da merkt man, dass sich die Themen wiederholen – alles das gleiche in Grün. Und das ist doch eigentlich ein schöner Gedanke, weil es einem die Möglichkeit gibt als Teil eines ganzen an die Wahrnehmung anderer anzuknüpfen.

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Beitrag von Jabo » 9. Jul 2008, 20:16

Dura: Vielen Dank, ich schaue mal hinein. Was ich sehr interessant finde ist, dass gewisse Kreativitätsmethoden sehr wohl funktionieren, um zielgerichtet und professionell zu arbeiten. Die Ideen selbst, die Eingebungen, spontan und gut, werden dadurch eher in den Hintergrund gestellt oder verdrängt. Einer der Kurse im ersten Semester (heute letzte Vorlesung gehabt) ist Kreativitätstraining. Dort haben wir die bekannten und bewährten Kreativitätsmethoden gelernt und angewendet. Brainstorming, Brainwriting, Brainfloating, und als letzte Abgabe Synektik. Das mag ja alles schön und gut sein, und auch die Ergebnisse waren erstaunlich passabel. Aber im Hinterkopf habe ich dabei immer, dass es a) gut, b) professionell und c) zielgerichtet sein muss. Dieses Gefühl gilt es zu bekämpfen, um wirklich kreativ zu sein, in dem Sinne, dass ich etwas mache, wovon ich selbst überzeugt bin.

buttermilch: Ich stimme dir zwar zu, dass der Druck ("jetzt hab ich schon Jahre meines Lebens damit verbracht, also muss doch…") eine gewisse Unsicherheit schafft. Aber die ist meiner Meinung nach nicht der Grund für das Sinken der Ideenvielfalt. Man kann diese Unsicherheit nämlich relativ einfach unterdrücken, indem man non-sense-Übungen macht, bevor man überhaupt mit etwas anfängt, bzw. aus ziellosen Kritzeleien etwas herausliest. Da bleibt dann nicht mehr viel Unsicherheit. Es muss etwas anderes sein. Zumindest empfinde ich das so. Ich kann mich natürlich irren.

Dass kindliche Naivität (schwieriges Wort, ich würde eher kindliche Neugier vorschlagen) eine Voraussetzung für wirklichen kreativen Output ist, halte ich für durchaus haltbar. Einerseits malen die Kinder zwar oft die selben Sachen, und es ist schwer, in den Kritzeleien überhaupt einen Unterschied von Kind zu Kind zu entdecken. Aber darum geht's ja gar nicht. Es geht um die Methodik. Einfach hinsetzen und zeichnen/malen. Das ist etwas, was verloren geht, wenn man viel Zeit mit dem Erlernen des "richtigen" Weges verbracht hat.

Ein Beispiel: Ich kann mich daran erinnern, dass ich früher (6-10?) mit meinem Bruder und einer Freundin immer auf dicke A2-Schreibblöcke (Werbegeschenke seid Dank! :D ) gemalt habe. Mit Filzern. Das Thema war immer das unterirdische Abwassersystem, in dem die Turtles wohnen. Die Bilder (es müssen tausende von Quadratmetern gewesen sein) bestanden einfach ausgedrückt nur aus vereinfachten Darstellungen von großen Abwasserrohren in verschiedenen Größen, dazu etwas ein halbes Dutzend Turtles und dann die bösen Fußsoldaten aus dem Comic. Die wurden niedergemacht und dann zu Pizza verarbeitet. Irgendwo im Bild war immer ein Förderband mit fertigen Pizzen.

Weder die Idee noch die Ausführung wirkt auf mich besonders, kreativ oder vielschichtig. Was ich allerdings im Gedächtnis habe ist das Bild, dass ich zu dieser Zeit EIGENTLICH malen wollte. Es waren gigantische Abwasserkanäle, die Turtles waren große Helden, die Pizzen lecker. Irgendwann geht einem diese Unbezogenheit auf real Mögliches verloren. Man weiß, dass ein Gegenstand normalerweise so und so groß ist und dass es das und das nicht wirklich gibt. Die Zweifel, die früher einfach ignoriert wurden, müssen jetzt erst mühselig beseitigt werden. Das fordert viel Energie. Wir laufen mit dem Alter der Ideenwelt der Kindheit davon. Wenn wir zurück wollen, steht da eine Mauer, die wir mit viel Kraft einreißen müssen, und die ständig nachwächst.

Zu philosophisch? Ich schweife ab.
Herrmann hat geschrieben:Jabo:
Ich habe für mich schon vor einigen Jahren die Theorie aufgestellt, dass eine Zunahme des Könnens mit einer Abnahme des kreativen Inhalt einhergeht.
Es ist doch so: Bilder zu Gestalten und Bilder wahrzunehmen gehen Hand in Hand. Die Zunahme Deines Könnens findet sich nicht nur im Malen oder Zeichnen, sondern auch im anaylsieren der eigenen Werke und der Werke anderer.

Ich selber habe z.B. einige Bücher über Dramaturgie im Film, also Drehbuchschreiben etc. gelesen. Seitdem ich weiß, wie ein Drehbuch klassischerweise aufgebaut ist, seh ich, wenn ich ins Kino gehe nur noch Storywendungen, Beats, Leitthemen und dramaturgische Kniffe. Meine Wahrnehmung ist in diesem Bereich also geschärft. Leider führt das häufig dazu, dass mich die Dramaturgie nicht mehr so ganz packen kann, weil ich mich mehr als Beobachter außerhalb des Publikums befinde, als mich betroffen zu fühlen.

Ähnlich verhält es sich doch mit den eigenen Sachen. Ich weiß wie und warum ich oder sonst jemand ein Bild so gestaltet hat, wie er es gestaltet hat und sehe nur noch Kompositionen, Farbstimmungen etc. Und vielleicht nehme ich auch den Inhalt des Bildes wahr, aber eben nicht nur. In der Gesamtwahrnehmung macht der Inhalt nur noch einen Teil aus. Das führt doch dazu, dass der Inhalt an Gewicht verliert, was selbstverständlich dem Inhalt abträglich ist. Denn schließlich wollen wir einen (ge)wichtigen, einen bedeutungsvollen und dadurch sinnvollen Inhalt sehen. Geht nicht mehr …

Mit steigendem Können und Wissen sinkt einfach die Wahrscheinlichkeit sich selbst zu blenden, zu überraschen oder zu beeindrucken. Aber gleichzeitig steigt die Fähigkeit den Dingen auf den Grund zu gehen. Jetzt kann man anfangen, hinter die Technikfassaden zu gucken, die ganze schöne Dramaturgie auszublenden und zum Thema zu kommen. Und da merkt man, dass sich die Themen wiederholen – alles das gleiche in Grün. Und das ist doch eigentlich ein schöner Gedanke, weil es einem die Möglichkeit gibt als Teil eines ganzen an die Wahrnehmung anderer anzuknüpfen.
Ja, da stimme ich dir eigentlich so zu. Deshalb tendiere ich auch dazu, das kindliche, noch stark wachsende "Gehirn"/"Geist"/"Seele" als etwas anzusehen, was sehr leicht zu beeindrucken ist, auch durch ganz banale Dinge. Die Frage bleibt dennoch: Kann ich durch das JETZT mögliche Hinterfragen und Nachforschen denselben Effekt FÜR MICH erreichen, den damals das Bild hatte, das mich so fasziniert hatte?

Übrigens sehr interessant: Ich bin ein großer Film-Fan und bin jahrelang gut damit gefahren, mir die Filme einfach nur aufmerksam anzusehen. Als ich dann irgendwann meine obige Theorie "Skill<>Kreativität" aufgestellt habe, habe ich mir fest vorgenommen, niemals tiefer in das Medium Film einzusteigen, weil es mich meine naive Sichtweise kosten würde. Es hat nicht funktioniert, ich bin momentan selbst dabei, mich näher mit Film als Medium zu beschäftigen. Mein Sehverhalten hat sich geändert. Ich gucke vieles schon aus Prinzip nicht mehr, andererseits kann ich viele gute Filme (die es übrigens immer noch gibt, man muss nur suchen) noch viel intensiver genießen. Noch bekomme ich Gänsehaut. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn ich erst mal selbst tätig geworden bin. Aber das Medium ist mir einfach viel zu wertvoll, als dass ich die Chance verpassen will, mich damit zu beschäftigen und darin unterzugehen.

Das schöne an Film, übrigens, finde ich, dass er von vielen verschiedenen Menschen und Kreativen gemacht wird. Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass man ALLES was Film betrifft irgendwie bearbeitet, wird es immer etwas geben, was einen begeistert. Ich will mich in Richtung Kameratechnik weiterbilden und Kurzfilme drehen. Ich werde dennoch weiterhin von guten Schauspielern beeindruckt sein, genauso von guten Drehbüchern und gut inszenierten Sounds und imposanter Musik. Das blöde ist halt, dass man sich immer sein Lieblingsthema zum Bearbeiten aussucht, in meinem Fall Komposition und Beleuchtung.

Langer Post, ich hoffe es gibt nicht allzu viele Kollateralschäden! ;)
Zuletzt geändert von Jabo am 9. Jul 2008, 20:32, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag von Herrmann » 9. Jul 2008, 20:26

Jabo
Du wirst in diese Kindheitswelten nicht mehr zurückkönnen, weil Du, wie Du erkannt hast, zu viel weißt. Morpheus hat dir die Pillen schon angeboten und bist längst aus der Matrix raus und kannst nicht wieder rein. Bzw. nimmst Du sie nicht mehr so wahr wie früher. Aber warum willst Du das überhaupt? Du kannst heute doch viel mehr, als damals. Du kannst richtig was rocken!

Ich denke es geht hier auch um Verantwortung. Je stärker die Dinge sind, die man kreieren kann, je mehr man andere damit beeindrucken kann, desto größer wird die Verantwortung. Und Verantwortung ist eng verbunden mit Pflicht, und die Pflicht ist eben nicht die Kür …

Sich selbst zu beeindurcken geht übrigens immernoch … wenn man ein Stück Kontrolle ganz bewusst wieder abgibt. Lass dem Zufall seine Chance, mach was mit jemanden in Kooperation, zäum das Pferd mal von hinten auf.

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Beitrag von Artdek » 10. Jul 2008, 10:02

Ich selber habe z.B. einige Bücher über Dramaturgie im Film, also Drehbuchschreiben etc. gelesen. Seitdem ich weiß, wie ein Drehbuch klassischerweise aufgebaut ist, seh ich, wenn ich ins Kino gehe nur noch Storywendungen, Beats, Leitthemen und dramaturgische Kniffe. Meine Wahrnehmung ist in diesem Bereich also geschärft. Leider führt das häufig dazu, dass mich die Dramaturgie nicht mehr so ganz packen kann, weil ich mich mehr als Beobachter außerhalb des Publikums befinde, als mich betroffen zu fühlen.
Lieber Hermann, ich kann dir versichern, dass dies nicht lange andauern wird. Mir ging es manchmal ebenso, aber jetzt profitiere ich davon, Filme lesen gelernt zu haben. Früher Verborgenes wird mir heute klarer. Die Macke mit dem "Film packt mich nicht mehr, weil ich Dramaturgie verstehe" ist so schnell vorbei, wie sie auftaucht. Eben nun werden für dich erst gute Filme interessant, weil du die Hollywood-Formeln durchschaut hast. Ein packender Film lässt solche Dinge schnell vergessen. Aber auch ideenlose Plots werden wieder begeistern können, wenn man sich ihnen hingeben will.

(der folgende Abschnitt ist nicht für unreife oder verklemmte Personen geeignet)
Ich vergleiche das gern mit Sexualität: Als Teenager hab ich nicht viel über Sexualität gewußt, weder über ihren wissenschaftlich spannenden Hintergrund noch über ihre Techniken. Jetzt könnte ich einen viele Seiten langen entzaubernden Text über die biologischen Methoden und Effekte der Sexualität schreiben, über ihre Philosophische Bedeutung und Soziale Auswirkung - und doch: der Akt selbst ist immer noch und immer wieder schön.


Über Inhalt:
Ich finde, wenn man etwas bestimmtes event. gehaltvolles Schaffen möchte, muss man sich in der Schaffensphase das Zielpublikum vor Augen halten. "Wen will ich mit meinem Werk erreichen und warum?" sind die Fragen, die, sofern man sie sich selbst ehrlich zu beantworten vermag, immer helfen werden, etwas kommunizieren zu wollen.

Ich habe für mich herausgefunden, dass Bilder, ebenso wie das Sprechen, an andere Personen gerichtet sind. Bilder sind eine besondere Form der Sprache und ihrer Ausführung dem Schreiben sehr ähnlich: mit dem Stift zeichnen wir die Buchstaben in einen bedeutungsvollen Syntax und eine ausdrucksreiche Semantik. Die Teckniken hierfür erlernen wir in der Schule. Die Form ist dabei international bekannt und verständlich. Syntax und Semantik sind kulturabhängig und somit meist nur national gültig.

Wer nur etwas malt, um zu zeigen, wie gut er malen kann, ist entweder ein Angeber oder ein Schüler. Hier im Forum jedoch hab ich kein Problem damit, auch mal eines von beiden zu sein.

Aber wer etwas nur malt, filmt, oder schreibt, um sich selbst daran zu erfreuen, der führt halt Selbstgepräche; was auch nicht schlecht sein muss. Manche Menschen können ja mit sich selbst am besten reden. Die Frage ist nur, ob das dann auch andere Personen als nur Angehörige und Psychologen interessieren würde.

Wer wirklich etwas zu sagen hat, der wird auch die richtige Sprache dafür finden.
"Hundert Schafe, von einem Löwen geführt, sind gefährlicher als hundert Löwen, geführt von einem Schaf."

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Beitrag von Duracel » 10. Jul 2008, 13:21

Jabo, du sprichst die Zweifel an, die früher einfach ignoriert wurden; aber nun, da man "genau weiß", erwartet man, dass die Dinge auch genau so sind.
A.Ehrenzweig schreibt darüber, dass eine wesentliche Fähigkeit eines kreativen Geistes ist, "Ungereimtheiten" erstmal hinsichtlich eines stimmigen Gesamteindruckes hinzunehmen.
Sich von beispielsweise einer "expanding Earth"-Theorie fangen zu lassen ist also ein Ausdruck solcher kreativer Leistung - INSBESONDERE, wenn sich einem allem Anschein nach Widersprüche in den Weg stellen.

Das schöne an Kreativität ist ja gerade, dass man möglichst grundsätzliche Dinge aufbrechen muß. Umso kreativer ist das ganze.
Umso elementarer die eigenen Wurzeln in Frage gestellt werden, umso "potentiell kreativer" kann die Leistung daraus entstehen.
Oder um wieder auf Ehrenzweig zu verweisen; Kreativität enthält immer auch einen gewissen Grad an Selbstzerstörung!

Ich denke als Kind hat man einfach noch weniger Angst! Angst sich von dem, was man sich bereits erarbeitet hat loszulösen und einfach ganz andere Dinge anzugehen.
Als Kind wechselt man von heut auf Morgen seine Lieblingsfreizeitbeschäftigung ... wechselt man als Erwachsener ständig die Arbeit wird das von der Gesellschaft kritisch beäugt. Zuverlässigkeit und Sicherheit sind todliche Prozesse hinsichtlich kreativer Kulmination. :)


Insofern ist man als Kind noch nicht zu "verzogen" zu einem anständigen, guten Spießbürgerdasein. Ich würde behaupten, als Kind ist man positiv naiv; als Erwachsener ist man meist eher negativ naiv. Naiv zu glauben, dass dies oder jenes "nicht möglich" ist, nur weil es jenseits der eigenen Vorstellungskraft ist.
Als Kind stellt man sich Dinge nicht vor, lässt sie aber zu. Als Erwachsener blockiert man sie - schließlich ist man weder Krösus noch talentiert, und Franz Beckenbauer ist man auch nicht.

Für mich ein ganz elementares Aha-Erlebnis war folgendes.
Zu Zeiten, als ich noch zu Spielen wie Starcraft und Warcraft Fanart gezeichnet habe, bin ich absolut überhaupt nicht auf die Idee gekommen, jemals etwas ähnlich gutes erschaffen zu können, wie die Artists der Spiele ... in diesem Falle waren die Arbeiten Samwise für mich "undenkbar". Und das heißt, dass ich wirklich damals nicht im Traum daran gedacht habe, soetwas überhaupt in Erwägung zu ziehen auch gerne mal können zu können. Ich habe damals einfach mein Ding gemacht, und gut so.
Schritt für Schritt für Schritt bin ich irgendwann in die Position gerutscht, in der ich heute stehe ... ich kann mich damit messen.
Und ich habe das Glück mich an das Gefühl zu erinnern, was ich vor gut 8 Jahren in mir wahrgenommen habe; ich weiß noch sehr genau, wie ich meine aus heutiger Sicht lächerlichen aber doch eben wegweisenden Arbeiten damals aufgefasst und wahrgenommen habe.
Heute stehe ich an einer ehemals -undenkbaren- Zukunft.

DIESER Schritt der ERKENNTNIS ist für mich bisher der gewaltigste und zugleich elementarste kreative Schlüssel.
Ich kann Dinge Schaffen, die mir heute unmöglich erscheinen.

Aber was nun? Ich kann mir ohne weiteres vorstellen irgendwann einmal in die Geschichtsbücher einzugehen als irgendein bahnbrechner Wissenschaftler/Künstler/Philosoph ... klingt vermessen? Ist es auch. Eigentlich ist es undenkbar, aber sind nicht eben auch die undenkbaren Dinge mittlerweile vorstellbar geworden?
Die Frage die sich daraus stellt ist für mich vielmehr - WORAN denke ich eigentlich nicht?

Das ist übrigens idR. der Schlüssel zu einem erfolgreichen Finale in einem Film. Das, was ich mir beim besten Willen nicht vorher ausmalen kann(und zugleich schlüssig ist). DAS wäre für mich das lebendigste, das reichste, das befreiendste aller Erlebnisse.
Gerade auf die Dinge aufmerksam zu werden, über die man eben erst garnicht nachgedacht hat. DAS fühlt sich wahrhaft gut und kreativ an.
Ziel ist, woran kein Weg vorbeiführt.

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