Schlaulabern statt Dummlabern

BurningPeanut
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Beitrag von BurningPeanut » 15. Apr 2010, 21:34

Wir nehmen grade in Ethik die Sokratische Philosophie durch, inklusive der Ideenlehre des Platon...da kommt man auch bei Wissenschaft schnell an seine Grenzen.
Platon und Sokrates gehen davon aus das ja unser Körper (Sinne) nicht unfehlbar sind, heißt wir können nicht sagen ob uns unsere Sinne betrügen (z.B hab ich das jetzt wirklich geschrieben oder gaukeln mir meine Sinne das nur vor), dem entsprechend kann man auch nicht sagen ob etwas bewiesen ist...
Oder, nur weil bisher immer jeden Morgen die Sonne aufgegangen ist oder weil bis heute die Gesetze der Gravitation immer gegolten haben, heißt das nicht, dass sie morgen immer noch gelten...Wissenschaft ist fehlbar und man kann auch nur an die Wissenschaft glauben, aber ihr nicht vertrauen.

Etwas eindeutig beweisbares gibt es nicht....nur die Wahrscheinlichkeit, dass etwas wahr ist, kann maximiert werden...

Und wie sagte nochmal Descartes

"Alles was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch."

Naja, wie auch immer :P

rockforce
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Beitrag von rockforce » 17. Apr 2010, 22:59

digitaldecoy hat geschrieben:Ganz ehrlich: ich war lange Jahre meines Lebens extrem wissenschaftsgläubig. Man wird ja in der Schule auch darauf getrimmt, alles durch die Brille der Wissenschaft zu sehen und sein Weltbild danach zu formen. In den letzten Jahren hat die Wissenschaft für mich eine Menge ihres Glanzes verloren. Theorien werden verteidigt wie Götzenbilder. die Hierarchien im wissenschaftlichen Apparat stehen denen im Vatikan in nichts nach. Dogmen heißen dort Lehrmeinung und Bereiche, für die sich die Wissenschaft schlicht und einfach nicht interessiert (weil sie nicht so schön messbar sind wie die Schwerkraft oder Atommassen) werden einfach ignoriert. Warum kann einem kein Wissenschaftler plausibel erklären, weshalb wir träumen? Oder weinen? Und spätestens seitdem die Physiker - die ja wohl am heftigsten über lange Zeit die Berechenbarkeit des Universums vor sich hergetragen haben - im Atomkern auf Dinge gestoßen sind, die man nicht mehr messen kann, weil sie nur noch Wahrscheindlichkeit sind, hat auch denen gedämmert, dass wir auf ewig zum Glauben verdammt sind. Ob ich an Gott glaube oder an Quarks ist dann doch nur noch eine bloße Detailfrage.

Das Internet spielt eine Interessante Rolle dabei. Zu jeder Theorie findet man im Handumdrehen eine Gegenthese. Jeder Information steht das genaue Gegenteil gegenüber. Wem ich glaube, an was ich glaube, wird zum Spielball der Wahrscheinlichkeit. Die grenzenlose Verbreitung von Information führt zum letzten Beweis dafür, dass jeder sich seine individuelle Wahrheit zusammenstellen muss. Und das jeden Tag aufs Neue.
Also, zum Thema Wissenschaft: Eine These wird so lange verteidigt, bis ein Gegenbeweis gefunden wird. Und die müssen auch verteidigt werden, sonst spricht ja nichts für sie. Der Mensch hat nunmal anfangen zu erforschen und für viele, bisher ungeklärten Phänomene, eine Erklärung gefunden. Das drängt die Religion in den Hintergrund. Religiös werden die Menschen erst dort, wo sie nicht mehr weiter wissen. Was ist nach dem Tod? Wie ist die Welt entstanden? Gibt es Schicksal, oder ist alles Zufall? Vor allem, ist meine Existenz Zufall? Hat mein Leben überhaupt eine Bedeutung? Und bei den letzten zwei Fragen wird's religiös. Keiner will Zufall-, und jeder möchte bedeutend sein.
Dort wo die Emotion und das Selbstverständnis, die Wissenschaft trifft, wird es wahrscheinlich immer eine Religion geben.

Ansonsten ist es natürlich erst einmal der Glaube, den eine wissenschaftliche Theorie am Leben erhält, bis sie bewiesen wird, oder auch nicht. Ob du an Quarks glaubst oder an Gott, hat den Unterschied, dass man für Gott, wie wir ihn uns vorstellen keinen Beweis finden wird. Wenn er übermenschlich ist, ist er für den Menschen nicht fassbar, also so gut wie nicht existent. Dass ist ungefähr so, als würden wir uns über das Leben in der 12. Dimension unterhalten. Und das kommt mir alles nicht sehr detailhaft, sondern sehr grundlegend vor.
Quarks kann man vielleicht irgendwann nachweisen. Ich bin da nicht up to date, was solche Forschungen angeht. Hättest du den Menschen vor 200 Jahren erzählt, dass heute Kernspaltung betrieben wird, die hätten dich nicht ernst genommen.
Und was die Thesen und Gegenthesen im Internet angeht: Zu viel Wichtigtuerei. Kein Mensch würde seine eigenen Thesen, kostenlos im Internet verbreiten, wenn sie auf Nachforschung basieren. Ist ja nicht so, dass Forschung nichts kostet.

Zu BurningPeanung und seinem Descartes: Dann ist ja alles falsch? Oder gibt es 100%? ;)

BurningPeanut
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Beitrag von BurningPeanut » 18. Apr 2010, 09:59

Nee demnach gibts kein Hundert Prozent und das ist ja iwie auch das Interessante...:D

MartinH.
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Beitrag von MartinH. » 18. Apr 2010, 11:57

Duracel hat geschrieben:Gut dazu passt auch ein weiterer Hinweis.
Und zwar habe ich letztens auf ProSieben eine oscarpremierte Dokumentation gesehen, die ich weiterempfehlen kann. Gibt es allerdings anscheinend nicht im Internet umsonst.
Aber wer sich Sendungen wie AlphaCentauri gerne anschaut, dem sei dies für einen Videoabend nahegelegt:
"Eine unbqueme Wahrheit/an inconvenient truth"
Es geht hier um die Klimaerwärmung - aber tatsächlich so genial und überzeugend dargelegt von AlGore(Regie Davis Guggenheim), das es wirklich für jeden interessant sein dürfte.
da du ja ein so großer fan von alternativen und kritisch hinterfragenden sichtweisen bist, ist hier eine sehr kurze und ebenfalls auf ihre art gut gemachte gegendokumentation:

http://www.youtube.com/watch?v=QDgHO15Bb58
(sehr empfehlenswert, dauert auch nur ein paar minuten)

Farbnebel
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Beitrag von Farbnebel » 19. Apr 2010, 20:44

@Martin
Sehr geil at 06:25! :D
Voll aus dem Leben

Chinasky
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Beitrag von Chinasky » 17. Mai 2010, 12:53

@Daniel:
digitaldecoy hat geschrieben:Ganz ehrlich: ich war lange Jahre meines Lebens extrem wissenschaftsgläubig. Man wird ja in der Schule auch darauf getrimmt, alles durch die Brille der Wissenschaft zu sehen und sein Weltbild danach zu formen. In den letzten Jahren hat die Wissenschaft für mich eine Menge ihres Glanzes verloren. Theorien werden verteidigt wie Götzenbilder. die Hierarchien im wissenschaftlichen Apparat stehen denen im Vatikan in nichts nach. Dogmen heißen dort Lehrmeinung und Bereiche, für die sich die Wissenschaft schlicht und einfach nicht interessiert (weil sie nicht so schön messbar sind wie die Schwerkraft oder Atommassen) werden einfach ignoriert. Warum kann einem kein Wissenschaftler plausibel erklären, weshalb wir träumen? Oder weinen? Und spätestens seitdem die Physiker - die ja wohl am heftigsten über lange Zeit die Berechenbarkeit des Universums vor sich hergetragen haben - im Atomkern auf Dinge gestoßen sind, die man nicht mehr messen kann, weil sie nur noch Wahrscheindlichkeit sind, hat auch denen gedämmert, dass wir auf ewig zum Glauben verdammt sind. Ob ich an Gott glaube oder an Quarks ist dann doch nur noch eine bloße Detailfrage.
Nö. Das ist ein kategorialer Unterschied. Begründungen in (zumindest den abrahamitisch-monotheistischen) Religionen sind prinzipiell auf Autorität (Offenbarung!) gestützt, Begründungen in der Wissenschaft auf Belegen (evidence).
In der Wissenschaft gilt das Falsifikationsprinzip (seit Popper). Das heißt: eine Theorie über einen x-beliebigen Gegenstand muß sich im Prinzip widerlegen lassen, sonst wird sie verworfen. Es wird in der Regel erwartet, daß ein Wissenschaftler von einer Hypothese, die er vertritt, angeben kann, unter welchen Umständen sie sich als falsch erweisen würde. Religiöse Sätze (Thesen) erfüllen dieses Kriterium prinzipiell nie!
Das Internet spielt eine Interessante Rolle dabei. Zu jeder Theorie findet man im Handumdrehen eine Gegenthese.
Theorien sind etwas anderes als Thesen. Eine naturwissenschaftliche Theorie ist so ziemlich der abgesicherteste Wissensstand, den man haben kann. Du verwechselst hier - wie im Internet üblich - Theorie und Hypothese.
Jeder Information steht das genaue Gegenteil gegenüber.
Was ist das Gegenteil von Information? Hier verwechselst Du also schon wieder Begriffe, indem Du Aussagen als Informationen verstehst. Zutreffend ist: zu so ziemlich jeder Aussage gibt's im Web kontradiktorische Aussagen. Du wirst aber wohl zugeben müssen, daß manche Aussagen sinnvoll und zutreffend sind, andere hingegen sinnlos und unzutreffend. Nun ist zu fragen: Nach welchen Kriterien unterscheide ich die richtigen von den falschen Aussagen?

Methode1: Ich glaube einer Autorität und vertrete deren Dogmen.
Methode2: Ich bewerte die Plausibilität der Aussage, indem ich sie auf logische Konsistenz prüfe.

Wem ich glaube, an was ich glaube, wird zum Spielball der Wahrscheinlichkeit.
Hier argumentierst Du letztendlich entsprechend dem Münchhausentrilemma. Man kann sich nie letztbegründet sicher sein, ob eine Aussage stimmt oder nicht. Das ist richtig - aber deswegen sind nicht alle Umgangsarten mit diesem Problem (das es keine definitiven Letztbegründungen von Aussagen geben kann) gleich sinnvoll. Der religiöse Glaube ist in meinen Augen die schlechtesmögliche Umgangsart mit dem Münchhausentrilemma. Du wählst ja selbst für Dich die Variante des Relativismus, die ich auch für am besten halte (und gegen die Religionsvertreter wie z.B. der Papst, regelmäßig anpolemisieren, weil das Postulieren von individuellen Wahrheiten eben als Gefahr gegenüber jeder Ideologie wirkt). Man kann nicht letztinstanzlich entscheiden, wie wahr oder unwahr eine Aussage ist. Aber man kann zumindest sich anstrengen, immer zwischen Argument und Autorität zu unterscheiden.
Die grenzenlose Verbreitung von Information führt zum letzten Beweis dafür, dass jeder sich seine individuelle Wahrheit zusammenstellen muss. Und das jeden Tag aufs Neue.
Genau. Das ist die Position des Relativismus (die auch unabhängig vom Internet stimmt und auch schon lange vor dessen Entwicklung vertreten wurde.).
Wahrheiten sind immer subjektiv, insofern, als sie sich prinzipiell auf bestimmte Systeme beziehen müssen - deren Gültigkeit anerkannt werden muß.
Simples Beispiel: 1+1=2 gilt als wahr im Dezimalsystem. 1+1=10 gilt als wahr im binären System. Wenn ein Erstklässler in der Mathearbeit 1+1=10 schreibt, dann wird ihm das als falsch/unwahr rot angestrichen, denn das System, welches als "Verhandlungsgrundlage" gilt, ist in der Grundschule das Dezimalsystem. Und innerhalb dieses Systems gibt es eindeutig falsche und eindeutig richtige Aussagen. Egal, was man glaubt - im Dezimalsystem ist 1+1 immer 2.
Dennoch würde ich Dir widersprechen, daß man sich jeden Tag auf's Neue seine individuelle Wahrheit zusammenstellen müsse. Manche Wahrheiten kann - nein, muß! - man als gesichert annehmen, weil man sonst gar nicht leben könnte. Die Wahrheit, daß z.B. die Gravitationskonstante tatsächlich immer wirkt, beispielsweise. Sonst hätte man morgens nach dem Aufwachen Angst, sich mit dem Arm aufzustützen, denn falls die Gravitation plötzlich nicht mehr wirken würde, stieße man sich ja vom Bett ab und flöge dann entsprechend dem Impulserhaltungsgesetz gegen die Zimmerdecke. :D

@rockforce:
Eine These wird so lange verteidigt, bis ein Gegenbeweis gefunden wird.
Umgangssprachlich sagt man Gegenbeweis, korrekt wäre es zu sagen: Gegenbeleg. In der empirischen (Natur-) Wissenschaft gibt es eigentlich gar keine Beweise, sondern nur Belege.
Beweise für Sätze gibt es nur innerhalb von axiomatisch eng definierten Systemen (z.B. in der Mathematik). Die Realität (Welt) ist aber kein axiomatisch eng definiertes System, wie wir schon allein aus dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz ersehen können.

ps.: Keine Ahnung, warum das Verlinken jetzt hier nicht klappt?
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.

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Beitrag von Duracel » 17. Mai 2010, 23:23

Diese Differenzierung zwischen Theorie und These und zwischen Aussage und Information ist Fachgesimpel, das soviel Sinn macht, wie einem Bildgucker den Unterschied zwischen Sättigung und Farbwert zu erklären.
Natürlich existiert ein Unterschied.
Nur spielt dieser in dem von Daniel genutzten Rahmen keine wesentliche Rolle und kann dort meiner Auffasung nach problemlos synonym genutzt werden.

Ich sage das, weil ich es in dem Zusammenhang schon früher häufiger gehört habe. Es klingt leicht so nach "du kannst nicht Recht haben, weil dir die Fachtermini nicht geläufig sind".

Nicht, dass du das hier behauptet hättest. ;)
Ziel ist, woran kein Weg vorbeiführt.

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Beitrag von digitaldecoy » 18. Mai 2010, 09:31

Hehe, dass mir vorgehalten wird, dass ich meinen Abgesang an die Wissenschaft nicht wissenschaftlich präzise formuliert habe, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. :)

Wenn es nicht so aufwändig wäre, hätte ich meine Wissenschaftskritik auch lieber rein visuell formuliert, muss ich sagen. Denn da kann man dann nicht über sprachliche Fallstricke stolpern. Ich halte es da mit Einstein, der die Sprache auch eher als begrenzendes System aufgefasst und seine Ideen visuell entwickelt hat. Denn was erhalten wir, wenn wir die Sprache immer präziser und präziser einsetzen? Immer feinere Klingen, mit denen man immer kleinere Dinge zerteilen kann. Ich lichte den Dschungel meiner Gedanken aber machmal halt lieber mit der Machete statt mit dem Skalpell. ;)

Aber danke für den Kommentar, hat mir was gegegeben!
Besuch mich doch Mal in meinem Personal Showroom! - http://www.digitalartforum.de/forum/vie ... php?t=1604

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Beitrag von Chinasky » 18. Mai 2010, 11:56

@ Dura:
Duracel hat geschrieben:Diese Differenzierung zwischen Theorie und These und zwischen Aussage und Information ist Fachgesimpel,
Sorry, wenn ich Fachgesimpel einbringe in einem Thread mit einer solchen Überschrift :P. Aber da ich halt viel in Weltanschauungsforen unterwegs bin und mich insbesondere mit der Wedge-Strategie beschäftigt habe, fallen mir die "üblichen" Simplifizierungen in der Debatte nun mal besonders auf. Nicht zwischen Theorie und (Hypo-) Thesen zu unterscheiden ist sicherlich meistens dem Alltagssrpachengebrauch geschuldet. Aber es gibt nun mal seitens religiöser Kreise den Versuch, das wissenschaftliche (rationale) Denken systematisch zu diskreditieren. Hier in Europa sind wir der Entwicklung in den USA noch ein paar Jahre hinterher, aber die Einschläge kommen näher.
Natürlich existiert ein Unterschied.
Nur spielt dieser in dem von Daniel genutzten Rahmen keine wesentliche Rolle und kann dort meiner Auffasung nach problemlos synonym genutzt werden.
Deiner Auffassung nach. Ich bin der Meinung, daß Daniel sich hier eben täuscht und gedankliche Fehler macht, die auf eine unsaubere Sprachverwendung zurückzuführen sind.
Ich sage das, weil ich es in dem Zusammenhang schon früher häufiger gehört habe. Es klingt leicht so nach "du kannst nicht Recht haben, weil dir die Fachtermini nicht geläufig sind".
Nicht, dass du das hier behauptet hättest. ;)


Nö, habe ich nicht. :P Aber auch Dein implizierter Vorwurf, ich würde durch Fachchinesisch jemand anderem über den Mund fahren wollen, ist mir allzugut aus anderen Zusammenhängen bekannt. Ich fasse diesen Vorwurf nicht mal persönlich auf, sondern als ein Stereotyp innerhalb des Diskurses. Du bedienst hier einen sorgfältig von interessierten (religiös-ideologischen) Kreisen gehegten Anti-Intellektualismus und der geht so:
Leute, die zu komplizierte Fremdwörter verwenden, versuchen so bloß, von der eigentlichen Sache und ihrer eigenen Inkompetenz abzulenken. Die reden nur, haben aber eigentlich keine Ahnung. Die Dinge liegen gar nicht so kompliziert, daß man schwierige Worte verwenden muß, wie jeder mit etwas gesundem Menschenverstand auch einsehen muß. Es ist eigentlich ganz einfach und zwar folgendermaßen...

Hier ging es aber zuerst in der Diskussion darum, ob jemand, der religiös sei, überhaupt überzeugend naturwissenschaftliches Denken vertreten könne. Und dann äußerte sich Daniel sinngemäß, daß der "Glaube" an die Naturwissenschaften ähnlich/äquivalent dem Glauben an Gott sei.
So - und mit diesem Grundargument hantieren Kreationisten, welche die biblische Schöpfungslehre in den Biologieunterricht bringen wollen und darauf drängen, daß sie als "gleichberechtigt" mit der Evolutionstheorie gelehrt werde. Darüber werden in den USA teure Prozesse geführt - in einem Land, in dem über die Hälfte der Bürger glaubt, daß die Erde knapp 6000 Jahre alt sei und in dem 25 Prozent der (wahlberechtigten) Bürger der Überzeugung sind, in der "Endzeit" zu leben und damit rechnen, noch während ihres jetzigen Lebens die Wiederkunft des Messias zu erleben, bzw. "entrückt" zu werden. Wenn man dann mal in der Offenbarung des Johannes nachliest, dann kriegt man mit, daß diese Endzeit einhergeht mit einem weltweiten ultimativen Krieg (Armageddon usw.).
Dieses Weltbild soll Kindern in der Schule eingetrichtert werden - und dem entgegen steht "nur" das rationalistische, naturwissenschaftlich geprägte Weltbild, das ich mal rationaler Naturalismus nennen würde.

Dieser rationale Naturalismus wird vehement von den Religiösen angegriffen. Es handelt sich dabei um eine breit angelegte "Gegenaufklärung", analog der Gegenreformation seitens der Katholiken im 16. Jahrhundert. Diesen "großen Zusammenhang" habe ich nun mal im Hinterkopf, wenn es um dieses Thema geht und ich bin besonders aufmerksam für besondere Muster. Beispielsweise wird häufig von Vertretern des Irrationalen (religiös Gläubigen) den Naturalisten die Fangfrage gestellt: "Wie kann die Naturwissenschaft denn Liebe beweisen? Woher wissen Sie denn, daß Ihre Ehefrau Sie liebt? Sagen Sie Ihrer Frau: es gibt keinen Beweis, dass du mich liebst, also glaube ich nicht an deine Liebe?!"

Damit wird versucht, die Vertreter des Rationalen als kaltherzig, unerträglich nüchtern - oder eben als widersprüchlich hinzustellen nach dem Motto: man kann Liebe nicht beweisen und man kann Gott nicht beweisen - aber wenn es Liebe gibt, dann gibt es eben auch Gott!

Nun hatte Daniel hier das Beispiel mit den Träumen gebracht, und daß die Naturwissenschaft diese nicht erklären könne. Damit verwendet er ein strukturell gleiches Argument gegen die wissenschaftliche Methode wie eben die Religiösen, die nach der Liebe fragen.

In der letzten Konsequenz kommt man dann, wenn man dieser Art Argument folgt, zu einer prinzipiellen Gleichwertigkeit von "religiösem Glauben" und "rationalistischer Methode". Und zwar, weil man am Anfang eben diese scheinbar unwichtigen Detailfehler gemacht hat und Begriffe synonym verwendete, die nicht synonym zu verwenden sind.

@Daniel:
Hehe, dass mir vorgehalten wird, dass ich meinen Abgesang an die Wissenschaft nicht wissenschaftlich präzise formuliert habe, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Wie ich schon Duracel gegenüber versucht habe darzulegen, geht es hier um Grundlegenderes als nur um ein bißchen saloppe Formulierungen. Der Inhalt von (logisch strukturierten) Gedanken besteht nun mal aus Begriffen. Mir ist klar, daß ich hier wahrscheinlich recht korinthenkacker-mäßig überkomme. Aber diese Gefahr nehme ich gern inkauf, wo ich doch mich hier als Kämpfer im Krieg zwischen Licht und Finsternis wähne... :D

Nee, im Ernst: Ich schätze Dich als einen vorbildlichen Empiriker und Forscher, als so einen "die Sache mal gründlich unterschuchen"-Typ. Du taperst nicht (wie viele Religiöse) irgendwelchen Autoritäten hinterher, sondern Du guckst Dir Sachen, die Dir interessant erscheinen, mit eigenen Augen an, versuchst, gegen den Strich zu denken, unkonventionelle Aspekte zu erkennen usw. Das prädestiniert Dich eigentlich für eine Karriere als Naturwissenschaftler. :D
Wenn es nicht so aufwändig wäre, hätte ich meine Wissenschaftskritik auch lieber rein visuell formuliert, muss ich sagen. Denn da kann man dann nicht über sprachliche Fallstricke stolpern. Ich halte es da mit Einstein, der die Sprache auch eher als begrenzendes System aufgefasst und seine Ideen visuell entwickelt hat.
Ich behaupte jetzt mal dreist, daß Du Deine Wissenschaftskritik gar nicht visuell formulieren könntest. Los, überzeug mich eines Besseren! ;)
Natürlich kann man einen Haufen Cartoons machen, in denen Wissenschaftler große Versprechungen aufstellen und dann am Ende mit dem Platzen ihrer Eitelkeitsblasen dastehen. Natürlich wird der Wissenschaftsbetrieb von Menschen im Gang gehalten, die allesamt fehlbar sind, zu Dummheiten, Widersprüchlichkeiten, Irrtümern usw. neigen. Und auf diesem "menschlichen" Level nehmen sich Religionsvertreter und Wissenschaftslobbyisten häufig nicht sehr viel. Aber das ist eine triviale Ebene.

So, wie Einstein die Sprache als begrenztes System aufgefaßt hat, so fasse auch ich die Sprache als begrenztes System auf. Aber ich assoziiere damit nicht die Unmöglichkeit, beliebig komplexe Sachverhalte in diesem System darzustellen. Bei der visuellen Darstellung von Ideen geht es um deren Veranschaulichung. Man kann sie also sprachlich formulieren - nur fällt es uns leichter, sie zu verstehen, wenn wir ein Bild von ihnen bekommen.
Sprachliche Begriffe sind ja letztendlich auch nur abstrahierte und formalisierte Vorstellungen (welche immer raumzeitlich geprägt sind, also in unseren Gedanken aus Objekten in Raum und Zeit, sowie deren Verhältnissen zueinander bestehen). Die Formalisierung führt dazu, daß sich Assoziationen sprachlich nicht so einfach ausdrücken lassen wie in Bildern: durch Formalisierung kommen Regeln und Gesetze hinzu, die die Freiheit der reinen Anschauung begrenzen. Das ist eine Schwäche der Sprache - aber eine kompensierbare Schwäche. Manchmal muß man eben einen Gedanken, der in der "Bilder-Gedankenwelt" recht simpel sind, in der Sprachwelt kompliziert ausdrücken, um ihn richtig auszudrücken. Bilder (auch sprachliche Bilder, d.h. Gleichnisse, Metaphern usw.) sind dann häufig treffender.

Aber: Wenn man genau sein will, weil man am Ende einer Gedankenkette nich zu einem falschen Ergebnis kommen möchte, dann hat das Denken in Bildern eben auch seine Nachteile: kleine Denkfehler summieren sich oder haben in einem komplexen System am Ende gravierende Auswirkungen (Butterfly-Effekt).

Dabei will ich gar nicht bestreiten, daß die Sprache an vielen Stellen limitiert ist, insbesondere dort, wo komplexe Sachverhalte schnell vermittelt werden sollen. Da helfen dann Visualisierungen ungemein (Overpaint > seitenlange Bildkritik ;) ). Und es ist sicherlich wichtig, sich der Grenzen (d.h. aber auch: Möglichkeiten) der Sprache bewußt zu sein. Ich nehme mir da eher einen Ludwig Wittgenstein als einen Einstein als Vorbild. Während Einstein sozusagen ein Workaround probiert, indem er dort, wo er sprachlich-formal nicht mehr weiterkommt, das Bild als Hilfsmittel heranzieht, analysiert Wittgenstein das primäre Instrument des Denkens, die Sprache und lotet deren Grenzen aus. Was kann gesagt werden? Was kann gedacht werden, was kann gewußt werden - und was nicht?

Die Wissenschaftskritik, die heute von Religiösen häufig geübt wird, ist eine Kritik in der Tradition der Metaphysik des neunzehnten Jahrhunderts. Nach dem Motto: die Welt ist größer als das, was wir hier physikalisch beschreiben können, also gucken wir mal auf das Transzendente, Metaphysische...

Aber man kann nicht auf das Transzendente und Metaphysische sehen (spectare) - man kann darüber nur spekulieren. Die Grenzen dessen, was wir erkennen und verstehen können, werden nicht von der Physik gezogen - sondern von unserer Sprache. Auf unsinnige (d.h. falsch gestellte) Fragen gibt es keine sinnvollen Antworten.
Auch die naturwissenschaftliche Methode kann nicht auf falsch gestellte Fragen sinnvoll antworten. Ebensowenig kann sie Erwartungen erfüllen, deren Einlösung gar nicht ihr Geschäft ist.
Am allerwenigsten kann sie für überzogene Ansprüche. Niemand behauptet, die Naturwissenschaft wisse (heute schon) auf alle Fragen eine letztgültige Antwort. Vielmehr ist gerade der Verzicht auf den Anspruch, letztgültige Wahrheiten zu liefern, eine der größten Tugenden der Naturwissenschaften. Das unterscheidet sie von allen (religiösen) Ideologien, welche überall ihre Dogmen als "Denk-Stopper" installieren.

Amen. :D
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.

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Beitrag von digitaldecoy » 18. Mai 2010, 13:15

Jetzt, wo ich Deine Motivation kenne, meine Aussagen so aufs Korn zu nehmen, kann ich sie besser einordnen und sogar mit ihr sympathisieren. Es ist ganz bestimmt nicht in meinem Interesse, die Aufklärung rückgängig zu machen. :) Ne, wenn etwas in meinem Interesse ist, dann vielleicht ein behutsamerer Umgang mti dem Wahrheitsbegriff. Ich habe halt persönlich zu oft an "wissenschaftliche Wahrheit" geglaubt. Vielleicht, weil ich die Wissenschaft falsch verstanden habe. Eventuell, weil ich von der Gesellschaft dazu erzogen wurde. Ich denke, Religion und Spiritualität habe ich da von Anfang an realistischer betrachtet, nämlich skeptisch. Die gleiche Skepsis hätte ich halt auch bei der Wissenschaft anbringen sollen - von Anfang an. Dann wäre alles im Gleichgewicht gewesen. Wobei ich hier nicht Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Entdeckungen meine oder so. Ich meine nur Skepsis dem Versprechen gegenüber, einen der Wahrheit näher zu bringen.
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Chinasky
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Beitrag von Chinasky » 18. Mai 2010, 14:14

Okay, dann sind wir tatsächlich auf einer Linie und hatten uns nur kreuzweise falsch verstanden. :)
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.

kaktuswasser
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Beitrag von kaktuswasser » 23. Mai 2010, 23:35

Habe den Thread gerade erst entdeckt. Nachdem ich auf Seite 1 schon dachte ich müsste als Physiker jetzt eine lange Antwort verfassen möchte ich mich hiermit bei Chinasky für die sehr schönen Beiträge bedanken!

Trotzdem noch ein kurzer Kommentar, den ich mir gerade leider nicht verkneifen kann.
Und spätestens seitdem die Physiker - die ja wohl am heftigsten über lange Zeit die Berechenbarkeit des Universums vor sich hergetragen haben - im Atomkern auf Dinge gestoßen sind, die man nicht mehr messen kann, weil sie nur noch Wahrscheindlichkeit sind [...]
Zum ersten ist die Zeit in der man dachte, dass sich die gesamte Entwicklung des Universums berechnen ließe schon lange vorbei. Und mit langer Zeit meine ich über 100 Jahre (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Laplacescher_D%C3%A4mon). Und das hat nur beschränkt viel mit Quantenmechanik zu tun. Schon klassische mechanische Probleme lassen sich nicht unbedingt lösen (Bsp. Dreikörperproblem, wobei man nochmal eine ellenlange Diskussion darüber führen könnte, wodurch man ein Problem als "gelöst" ansieht).
Nun zu der Sache mit den Wahrscheinlichkeiten. Natürlich kann man auch Prozesse im Quantenmechanischen Bereich messen! Auch wenn Dinge nur mit einer best. Wahrscheinlichkeit auftreten lassen sich diese messen. Nämlich genau dann wenn sie auftreten. Zwar ist das Problem des Messprozesses in der Quantenmechanik ein äußerst subtiles und kompliziertes, welches übrigens quasi den ganzen Zweig der Quanteninformationstheorie (und damit z.B. Quantenkryptografie und Teleportation, was ja durchaus schon möglich ist) begründet, trotzdem ist es nicht richtig, dass in der Quantenmechanik Ereignisse nicht mehr meßbar sind. Denn ansonsten wäre diese Theorie, weil nicht falsifizierbar, schon lange abgelegt worden (siehe Chinasky). Tatsächlich sind die Vorraussagen die durch die Quantenmechanik gemacht worden sind die, welche am besten, das heißt am genausten, bestätigt worden sind. (Abgesehen davon wären Dinge wie Atomkraftwerke, Rastertunnelmikroskope und Laser niemals erfunden worden).

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