Idealisierung von Figuren

Antworten
caracas
Newbie
Beiträge: 5
Registriert: 28. Nov 2010, 15:32

Idealisierung von Figuren

Beitrag von caracas » 28. Nov 2010, 15:38

Hallo zusammen :)

Derzeit lese ich in Loomis Buch "Das figürliche Zeichnen" und versuche seit der Einleitung zu ergründen, was er meint, wenn er schreibt:

... Sie können keine Wirkungen mit Farben erzielen, wenn Sie Licht- und Farbwerte nicht begriffen haben, und es gelingt Ihnen nicht, eine Gruppe von Figuren zusammenzustellen, ohne zu wissen, wie man sie perspektivisch zeichnet. Ihre Aufgabe besteht darin, alltägliche Dinge zu idealisieren. [...]

Wenn Sie gute Fotos haben, benutzen Sie diese als Vorlage, aber denken Sie daran, daß Sie die Figuren idealisieren.



Was Eurer Ansicht und Erfahrung nach meint Loomis mit dieser Idealisierung.

Freu mich auf Eure Antworten.

caracas

Benutzeravatar
IronCalf
Artguy
Beiträge: 2042
Registriert: 29. Mai 2006, 02:52
Wohnort: Salzburg
Kontaktdaten:

Beitrag von IronCalf » 28. Nov 2010, 16:09

Ich hab mal die Einleitung (english) durchgelesen und meiner Meinung nach geht es darum, die Zeichnung weiter zu pushen, als die Vorlage. Ich weiß nicht ob ich mich richtig ausdrücken kann.

Wie ein Schauspieler im Theater, der seine Gestik, Mimik, Aussprache auch idealisiert/bekräftigt/übertreibt so ist es auch in der Zeichnung wichtig, einige Dinge, die im Bild wichtig erscheinen sollen, wie eben auch zB. Gestik oder Gesichtsausdruck einen Tick knackiger zu gestalten als es zB im RL der Fall wäre.
Vergesst niemals, dass sich auch der stärkste Mann aufs Kreuz legen lässt. Diesen Fehler machte Gott, als er auf die Erde kam.

Art must be "A" work or its not art. Art won't shine your shoes, fuel your car, or feed your cat.
Therefore: ART HAS NO REASON TO EXIST, OTHER THAN THAT IT BE WELL MADE. - Stapleton Kearns
If you work to make excellent things your style will develop on its own. - Stape, again

Mein Personal Showroom: http://www.digitalartforum.de/forum/vie ... 0&#a117960

caracas
Newbie
Beiträge: 5
Registriert: 28. Nov 2010, 15:32

Beitrag von caracas » 28. Nov 2010, 16:18

IronCalf, super Gedanke, damit kann ich mitgehen, hatte auch so ähnliche Assoziationen.

Weitere in der Art: Da ist eine Vorlage, die zwar bereits etwas darstellt, aber mein eigener Blick fängt dies möglicherweise nochmal differenzierter oder anders ein als der Blick des Urhebers. Denn Loomis betont ja stark die Persönlichkeit des Zeichners, die nicht hinter einer guten Technik zurückstehen sollte.

Also der individuelle Blick auch. Die Vorlage anpassen an das, was im eigenen Blick geschieht und gesehen wird.

Mal sehn, was Euch noch dazu einfällt. Finds interessant.

Dank dir, IronCalf.

Benutzeravatar
WhiteLady
Senior Member
Beiträge: 833
Registriert: 30. Mai 2006, 18:59
Kontaktdaten:

Beitrag von WhiteLady » 29. Nov 2010, 01:24

Bei dieser "Idealisierung" geht es glaube ich eher um Abstrahierung, Reduzierung auf die Grundformen. Das ist blöd übersetzt mit Idealisierung.

MartinH.
Artguy
Beiträge: 3263
Registriert: 28. Mai 2006, 23:15
Kontaktdaten:

Beitrag von MartinH. » 29. Nov 2010, 11:47

ich glaub eigentlich schon das er wirklich idealisierung meint. ich meine... der hat auch in den proportionscharts mit unbekleideten menschen die frauen immernoch mit high-heels gezeichnet...
und man sieht das doch auch an seinen skizzen:
http://johnnysaturn.com/wp-content/uplo ... loomis.jpg

würde mich nicht wundern, wenn der in seinen büchern keine einzige dicke frau und keinen einzigen untrainierten mann gezeichnet hätte.

nichtsdestotrotz macht das was ihr schreibt wahrscheinlich mehr sinn...

Farbnebel
Member
Beiträge: 181
Registriert: 1. Okt 2007, 12:55
Wohnort: Dortmund
Kontaktdaten:

Beitrag von Farbnebel » 29. Nov 2010, 15:13

Hallo Caracas!

Loomis war ein "echter" Illustrator der alten Schule und hat sein Geld mit Illustrationen/Darstellung der Umwelt für die Werbung verdient. Er hat zu einer Zeit gearbeitet, in der weder die Fototechnik noch die digitale Malerei eine große Rolle gespielt haben bzw. gab es letztere zu seiner Schaffenszeit noch gar nicht. (Er ist ja Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts gestorben) Man war also auf Illustratoren angewiesen, um Werbung in plakativer Form zu machen.

Ein Illustrator arbeitet ja für andere, ein Künstler mehr für sich selbst (zumindest versuchen die Künstler diese Legende aufrecht zu erhalten). :wink:
Und er war halt auch bzw. in erster Linie Illustrator und hat deshalb diesen Leitfaden für angehende Illustratoren geschrieben, dazu war das Buch eigentlich gedacht. Dass er damit ein gut nachvollziehbares Standardwerk für anatomisches Zeichnen geschaffen hat, ist ihm selbst vielleicht gar nicht mehr bewusst geworden.

Wie heute auch bzw. heute noch viel überspitzer, ist in der Werbung alles idealisiert! Keine fetten Menschen, um Martins Post mit ins Boot zu nehmen und auch keine Dinge, die die Menschen meist an sich selbst stören. In der Werbung gibt es nur fröhliche, gutaussehende Menschen/Familien in einem chiquen Eigenheim oder zumindest einer Altbauwohnung mit hohen Decken und Stuck.
Auch die eigentlichen Produkte sind immer in ein "gutes Licht" gerückt, also idealisiert.
Auch simple Produkte wurden schon zu seiner Zeit idealisiert, also vielleicht ein Highlight, wo in Wirklichkeit keines da gewesen wäre oder ein leichter Lichtschein darum.
Und bei der Anatomie ist damit gemeint, die Menschen so darzustellen, wie sie sein wollen, nicht unbedingt, wie sie sind. Also, IDEALmaße und -züge, nicht die Wirklichkeit. Das männliche Gesicht etwas kantiger und die weibliche Form etwas runder und geschwungener, als es die Wirklich keit hergibt. Das meint Loomis m. E. damit.

Die Kunden von Loomis wollten diese idealisierte Welt in ihren Werbebotschaften ausdrücken, um Produkte zu verkaufen. "Nur mit unserer Creme oder mit unseren Nylons sehen sie gut aus" und das sollte sich in der Illustration widerspiegeln. Heute wird jedes Cover-Foto idealisiert. Man benutzt dazu nur nicht mehr den Airbrush und das Negativ der damaligen Fototechnik, sondern Photoshops Reparaturpinsel/Kopierstempel etc. :!:

Ein guter Porträtmaler zeichnet sich auch dadurch aus, dass er die dargestellten Menschen idealisiert. Also die ein oder andere Falte, die zur Wiedererkennung unwichtig ist, wird weggelassen und der Auftraggeber ist gleich zufriedener. Ihm fällt es nicht auf, dass die Falte fehlt, aber er gefällt sich besser. Das meint Loomis mit Idealisierung.

caracas
Newbie
Beiträge: 5
Registriert: 28. Nov 2010, 15:32

Beitrag von caracas » 29. Nov 2010, 15:24

Super. Danke für die Antworten. Farbnebels Exkurs in Loomis Illustrationswelt... irgendwie hat mir dieser Aspekt gefehlt bzw. ich dachte weniger kommerziell oder habe seinen Hintergrund ignoriert, als ich sein Buch las, aber macht die "Idealisierung" für mich ziemlich nachvollziehbar.

Benutzeravatar
jaymo
Moderator
Moderator
Beiträge: 1486
Registriert: 17. Mai 2006, 09:46
Wohnort: Saarbrücken
Kontaktdaten:

Beitrag von jaymo » 29. Nov 2010, 22:31

Farbnebel hat geschrieben:Ein guter Porträtmaler zeichnet sich auch dadurch aus, dass er die dargestellten Menschen idealisiert. Also die ein oder andere Falte, die zur Wiedererkennung unwichtig ist, wird weggelassen und der Auftraggeber ist gleich zufriedener.
Hierbei wäre "gut" dann aber wohl eher "kommerziell erfolgreich". So gesehen dann z.B. die meisten obligatorischen Straßen-Portraitzeichner auf einem touristischen Platz. Wirklich gut ist ein Portraitmaler in meinen Augen, wenn er die dargestellte Person nicht durch Auslassungen und Veränderungen einem Idealbild annähert (verkitscht), sondern den Charakter erkennt und einfängt, ohne dabei quasi fotografisch jede optische Einzelheit wiedergeben zu müssen. Ist ein schmaler Grat...

Farbnebel
Member
Beiträge: 181
Registriert: 1. Okt 2007, 12:55
Wohnort: Dortmund
Kontaktdaten:

Beitrag von Farbnebel » 1. Dez 2010, 15:25

jaymo:
ich glaube, das "gut" zieht das "kommerziell erfolgreich" am Haken hinter sich her, wenn auch nicht unbedingt jeder in der Lage ist, die Leine mit dem Haken "einzuholen". Hat ja auch was mit Kontakten und Selbstvermarktung zu tun.
Ansonsten gebe ich dir Recht, wenn auch die Kunden leider selten diesen Anspruch haben. :wink:

Benutzeravatar
jaymo
Moderator
Moderator
Beiträge: 1486
Registriert: 17. Mai 2006, 09:46
Wohnort: Saarbrücken
Kontaktdaten:

Beitrag von jaymo » 1. Dez 2010, 16:08

@Farbnebel: Ich fürchte, das ist nicht wirklich der Fall. Sieht man sich z.B. an, welche Filme kommerziell erfolgreich sind und welche unter Kritikern gerühmt werden, stellt man fest, dass es hier eher eine umgekehrt proportionale Verteilung gibt. Der Anspruch der Kunden ist hierbei wohl ein Knackpunkt.

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder