Clive Wearing..

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nacho
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Clive Wearing..

Beitrag von nacho » 30. Jan 2007, 03:32

Habe heute zufällig eine Reportage über einen Mann namens Clive Wearing entdeckt. Er leidet unter extremer Amnesie, sein Gedächtnis reicht 7-30 Sekunden in die Vergangenheit, alles was davor war, ist ihm nicht bekannt.

Hier der Link zu den Videos:
Vergiss nicht, mich zu klicken wenn du am Ende des langen Textes angekommen bist..

Er ist sehr intelligent und in den Interviews drückt er sich sehr gewählt aus. Aber wenn man ihn etwas fragt, dann vergisst er die Frage noch während er antwortet. Und ein paar Sekunden später weiß ernichtmal mehr dass er geantwortet hat. Oder wo er ist. Oder wie lange er dort ist.

Er beschreibt den Zustand wieder und wieder als eine Art "Erwachen". Er weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt aber er hat keine Ahnung was es ist. Er ist permanent extrem verunsichert und verwirrt, einfach weil nichts um ihn herum einen Sinn ergibt. Und dass, obwohl er sehr intelligent ist und das auch weiß.
Er erinnert sich an seine Frau und äußerst rudimentär an seine Vergangenheit vor der Erkrankung. Und er ist ein sehr guter Musiker.

Auf youtube gibt es die Videos, einmal eine Reportage von vor 13 Jahren (glaub ich) und eine relativ neue. Ich hab ein bisschen im Internet dazu gestöbert und in Interviews erzählt seine Frau, dass Wearing mittlerweile besser mit seinem Zustand umgehen kann und dass er gewissermaßen "lernt", allerdings wohl eher auf einer Ebene der Konditionierung. Es ist schwer zu beschreiben, ich kann euch die Videos sehr empfehlen, auch wenn der britische Akzent des werten Herren wohl einigen zu schaffen machen wird.

Ich finde die ganze Geschichte sehr interessant. Ich bin ein sehr analytischer Typ, vor allem was Emotionen angeht.. Ich glaube an Hormone und Chemie und Glibbermasse im Kopf, nicht an Seelen und Bestimmung und das ganze Drumrum.. aber das hier hat mich fasziniert:

Wearing sagt seiner Frau oft wenn er sie "zum ersten Mal seit langer Zeit" wiedersieht, dass er sie für immer lieben wird, und das ist wahrscheinlich die Wahrheit, weil er sie immer wieder so sehr liebt wie an dem Tag an dem er sein Gedächtnis verlor.

Wie dem auch sei, schauts euch an, es ist faszinierend und verstörend und regt zum Nachdenken an. Der Versuch diesen Zustand zu begreifen ist fast so schwer wie sich vorzustellen was sich außerhalb des Universums befindet...

Ich bin ein Erinnerungslink, falls du weiter oben vergessen hast, mich zu klicken.

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Sisyphos
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Beitrag von Sisyphos » 30. Jan 2007, 10:02

Kennst Du "Memento"? Ein imo sehr guter Film, der ein nahezu gleiches Szenario aufgreift. Und das ist ein intuitiv verstörendes Szenario.

Verstörend u.a. deswegen, weil es uns potentiell unmittelbar bedroht, nicht über unsere Situation im Bilde zu sein. Der Raum für Gedankenspiele ist enorm, und wir müssen ihn nutzen, wenn wir aus Beispielen wie diesen eine (Ko-)Erkenntnis ziehen wollen: Was ist beispielsweise ein "ausreichend langes" Gedächtnis, um unsere jeweilige Situation zu überblicken? Nicht nur rückblickend, sondern vor allem vorrausschauend, wobei beide Horizonte in enger Beziehung stehen.

Dann Fragen wie die nach einer "wahren persönlichen Identität", die unweigerlich spätestens dann sprießen, wenn die Religion ein Wort mitzureden hat (der Begriff der Seele ist da schnell zur Hand). Allein das Phänomen dieser Implikation - "ja, er hat sein Gedächtnis verloren, aber irgendwo, tief in ihm, ist ein unzerstörbarer, wertvoller Kern" - ist ein enorm weites Feld. Nicht einmal, ob dem tatsächlich so ist... sondern allein schon die Annahme, die nach allem was wir vermuten können Projektion sein mag (und m.E.n. ist).

Interesting indeed :)
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