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von digitaldecoy » 16. Jul 2006, 14:03
Ich kann gut nachvollziehen, was Du da beschreibst. Ich glaube, früher als man einfach nur so gezeichnet hat und vielleicht auch keine großartigen Vorbilder oder Ziele vor Augen hatte, hat man hauptsächlich wegen des Gefühls beim Zeichnen gezeichnet. Ich meine das, was wir an anderen Stellen als "Flow" bezeichnet haben (und was wohl auch in der Wissenschaft so bezeichnet wird). Wenn man sich zu sehr auf technische Aspekte konzentriert, dann kann man dieses Gefühl sehr schwer erzeugen und das ist vermutlich der Fluch der "Lernphase". Im Endeffekt muss man all die Dinge lernen, muss auch durch knochentrockene ßbungen und ermüdende Theorie aber das alles soll einen ja dahin bringen, dass man später all das Wissen ganz unbewusst und intuitiv anwenden kann. Im Grunde zielt alles darauf ab, das Wissen zu verinnerlichen, so dass man im Endeffekt wieder Flow erzeugen kann, nur eben auf einem höheren technischen Niveau.
Unter dem Gesichtspunkt ist es auch wichtig, sich gewisse Arbeitsprozesse einfach anzugewöhnen und bei denen dann auch zu bleiben. Man sieht im Internet bei vielen Leuten die Bemühungen, ständig mit neuen technischen Kniffen und Stilen überraschen zu wollen. Das kann zwar sehr bereichernd sein und das sollte man auch gar nicht schlechtreden, aber wenn man Ausschau hält nach Arbeiten, die einen wirklich beeindrucken, dann sind dies meist Bilder von Leuten, die einen Stil verfolgen und an ihm festhalten. Denn wenn man für sich einen Stil und damit eine Technik gefunden hat, dann rüclt diese mit jedem Bild stärker in den Hintergrund und die Inhalte treten in der Vordergrund. Und das müssen jetzt keine besonders ausgeklügelten Stories sein oder was weiss ich, sondern manchmal reicht es auch, wenn man über Anatomie und Shading z.B. eines Characters einfach nicht mehr nachdenken muss, so dass man sich voll und ganz auf den Ausdruck konzentrieren kann.
Ich merke z.B. dass wenn ich eine ganz einfache Technik benutze - also z.B. schwarze Linie auf weissem Grund - und es mir auch verkneife, großartig zu schattieren, sondern wirklich nur mit der Linie arbeiten, dann kann ich die schönsten Posen und Charaktere umsetzen. Weil die Mittel so beschränkt sind und man nicht weiter über sie nachdenken muss, kann ich mich dann auf ein Mal darauf konzentrieren, wie die Linie denn genau sitzen muss, um z.B. den Eindruck eines gebeugten Rückens zu vermitteln. Und da befrage ich dann auch nicht mehr irgendwelche anatomischen Leitsätze sondern allein mein Gefühl, ob es mit der Linie jetzt zufrieden ist.
Und genau der Punkt ist es, den man im Grunde anstreben muss, egal wie komplex die Technik am Ende ist. Die Technik muss einem in Fleisch und Blut übergehen, so dass man nicht mehr über sie nachdenken muss. Erst dann ist man in der Lage, wirklich Ausdruck in seine Bilder zu bringen, weil man dann eben nicht mehr mit einem Shading ringt, sondern mit der Neigung eines Kopfes oder der ßffnung eines Augenlids.