@Ambro: Ich kenne die "Kultur- und Kunstszene" ein Weilchen. Vielleicht nicht so gut wie Schindermichel, aber "das wenige, was ich von echten freischaffenden Künstlern weiß", ist eben anders als dieses saudämliche Stereotyp. Sorry, daß ich's so krass ausdrücke. Was ich kenne, daß sind die Vorurteile in der Kunstszene. Und daher bewege ich mich ja normalerweise auch gern hier in der Illustratoren-Szene, um jene Vorurteile nicht immer hören zu müssen. Und nun höre ich hier umgekehrt genausolche Vorurteile. Das ist für mich inzwischen eher ermüdend als nur traurig. Genau solche Stereotype sind es doch, die einen daran hindern, Neues zu sehen, mehr zu sehen, Sachen zu kapieren, die man vorher nicht kapierte.
Mir ging es bei einem meiner vorherigen Postings gar nicht vorrangig um den Geld-Aspekt, sondern um eine bestimmte Form der Ästhetik. Es ging mir um die Frage, inwieweit geleckt-saubere, handwerklich sicherlich meisterliche Hochglanz-Illustrationen eine Ästhetik haben, die einen auf Dauer glücklich machen können. Ich behaupte: Nein. Aber das ist eben nur eine Ableitung meines eigenen Erlebens: Ich kriege bei Werbezeugs häufig ganz einfach ein unangenehmes Gefühl im Bauch, weil die Ästehtik, in welcher es rübergebracht wird, mir Sodbrennen verursacht. Die Perfektion, der gnadenlose Optimismus, dieser ästhetisch transportierte krampfhafte Amüsierwille, das Diktat der glatten Oberfläche. Und inzwischen wird ja selbst das glatte Gegenteil hier einverleibt, wenn ich nur an die Benetton-Fotografien denke...
Ich meine - worüber wollen wir uns denn überhaupt in einem Thread über Fotorealismus unterhalten? Fotorealismus ist halt Fotorealismus. Die entsprechenden Techniken kann man lernen, und wenn man dann genügend Zeit und Mühe reinsteckt, dann kriegt man fotorealistische Bilder hin. Will man da jedesmal Ah und Oh! seufzen, wenn man sowas geboten kriegt? Der zuletzt gepostete Tiegerkopf hat bei mir instinktiv ein "Oh nee!" bewirkt. Nicht, weil er schlecht gemalt wäre, im Gegenteil: So hat ein fotorealistisches Hochglanz-Poster im Airbrush-Style von einem Tiegerkopf auszusehen.
Ja und?! Solche Poster habe ich als Dreinzehnjähriger auf dem Jahrmarkt gekauft, und zwar, um meine Eltern damit zu ärgern, die es natürlich kitschig fanden.
Nun hat Krieger allerdings davon geschrieben, daß es ihm auch um seine "eigenen" Projekte geht. Die können doch wohl nicht darin bestehen, Bilder herzustellen, die sich pubertierende Knaben über ihr Bett hängen, oder? Das man sowas für Geld macht, als Aufragsjob - damit hab ich überhaupt kein Problem. Solche Bilder wären dann im Job-Thread gut aufgehoben. Ich mache es doch niemandem zum Vorwurf, daß er oder sie für Geld arbeitet! Aber indem hier nun darauf herumgeritten wird, ob man sich als Illustrator als Nutte oder Söldner fühlen soll, lenkt man sich doch vom eigentlichen Punkt ab: nämlich der Frage, was wir als Künstler machen, wenn wir eben mal nicht nur ans Geld denken, sondern wenn wir Bilder malen, von denen wir glauben, daß sie gemalt werden müssen, weil sie wichtig sind, weil sie eine Botschaft enthalten, weil sie nicht nur ein Noppen auf dem Kunstfliesenbelag des medialen Kulturbetriebs sind, sondern weil sie uns am Herzen liegen!
Und daß es dieses Problem gibt, das denke ich mir doch nicht aus. Immerhin sagt selbst der Vollprofi und von vielen von uns hier wegen seiner Professionalität bewunderte digitaldecoy, daß er in einem Auftragsverhältnis nie alles geben kann. Warum sollte er das denn sagen, eigentlich ist das ja Antiwerbung für ihn, denn potentielle Auftraggeber könnten sich denken: "Der gibt also nie 100 Prozent?!"
Aber er schreibt es, wie's ist: er
kann nie alles geben in solchen Verhältnissen. Das Auftragsverhältnis macht es unmöglich. Woran wird das wohl liegen? Ich wette, es liegt eben nicht an der notwendigen Zeit, die nicht zugestanden wird (auch wenn sie sicher ein Faktor sein wird). Sondern daran, daß Daniel nur dann 100 Prozent geben kann, wenn es für ihn notwendig ist, ein Bild zu malen, wenn ein Bild gemalt werden
muß. Geld ist eben kein wirklich überzeugendes Motiv, hundert Prozent zu geben. Es ist nur ein Motiv, soviel zu geben, daß der Auftraggeber zufrieden ist. Und heimlich, so ganz ein klein wenig, in aller Stille, bei sich, in einem versteckten Kämmerlein seines Herzens... verachtet man dann den Auftraggeber, daß der damit schon zufrieden ist.
Es geht eben um Inspiration, Geist und ja, auch Extravaganz, bzw. das Extraordinäre: eben nicht das Altbekannte und von anderen so oder besser schon längst Geschaffene zu wiederholen, sondern etwas zu machen, was noch nicht zu sehen war, etwas zu sagen, was noch nicht gesagt wurde. Und damit geht es auch um Stil - und Fotorealismus ist das Gegenteil von Stil; es ist der vorsätzliche Verzicht auf Stil, auf Handschrift, auf Duktus, auf Expression und so weiter. Deswegen halte ich Fotorealismus nur dort für angebracht, wo das Motiv dermaßen in den Vordergrund gerückt werden soll, daß Handschrift etc. nur stören würden. Mir fallen da z.B. einige Werke von Helnwein ein, wie z.B. das hier:
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Oder, noch besser, das hier:
Da wird dann der "Anspruch" des Fotos, die Realität abzubilden, verwendet, um das Irreale noch gruselig-realer zu machen.
Dieser Aspekt der Realität - er sollte m.M.n. bei fotorealistischen Arbeiten immer wichtig sein im inhaltlichen Sinne: die grausame Entstellung des Mädchens ist eine Entsprechung zur Realität solcher Grauen-Emotionen, die peinigende Genauigkeit, mit der hier die Details gezeigt werden, unterstreicht die Message. Wie schnell das in kitschiges Pathos umkippen kann, kann man hier, bei diesem (Plattencover-) Klassiker sehen:
Horror als Attitüde, gerahmt, in unterschiedlichen Größen im Postershop erhältlich.
Naja, das sind halt so die Fragestellungen, die mich, den von der Kunstszene Verdorbenen, interessieren, wenn sich das Gespräch um Fotorealismus dreht: welche ästhetischen Codes kommen hier zum Tragen, wie weitreichend ist das Diktat der Technik, inwieweit wurde die Technik durch ihre Verwendung als ästhetisches Mittel diskreditiert, kann man das irgendwie "umdrehen", ironisch brechen? Und so weiter und so fort.
Und dabei spreche ich eben nicht von Auftragsarbeiten - sondern von der jeweils eigenen (künstlerischen) Arbeit.
edit @Schindermichel: Das, was Du an der Kunstszene da kritisierst, ist das, was echt jeder Spiesser an der Kunstszene bemängelt. Es zeigt, daß Du eben nicht sehr viel von der Kunstszene weißt. Vor allem kennst Du wohl nicht jene vielen Künstler und Künstlerinnen, die nicht an diesem Medienrummel-Zirkus teilnehmen, sondern die ihre Kunst nur deswegen machen, weil sie es innerlich "müssen". Ich habe mehrere Bekannte oder sogar Freunde, die seit Jahren ohne finanziellen Erfolg ihre Kunst machen, die eben nicht wegen irgendwelchen nackten Ärschen in den SPIEGEL kommen, sondern ihr Geld mit Nebenjobs verdienen. Manche von ihnen machen Schrott und sind zurecht erfolglos. Andere machen ihre Kunst und scheren sich einen Dreck darum, ob die verkäuflich ist. Und von denen gibt es wieder einige, die machen richtig spannende Sachen, die haben Konzepte und Ideen, wo ich, wenn ich die erstmal kapiert habe, nur noch "Wow, wie geil!" sagen kann. Und ich würde Dir wünschen, Du kämest auch häufiger mal mit solchen Künstler, bzw. mit solcher Kunst in Berührung. Denn glaub mir: das hat was!
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.